"Da kann man nich' meckern ...

... das geht nich'."




zitiert: Sigmund Freud

"Es scheint festzustehen, daß wir uns in unserer heutigen Kultur nicht wohl fühlen, aber es ist sehr schwer, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob und inwieweit die Menschen früherer Zeiten sich glücklicher gefühlt haben und welchen Anteil ihre Kulturbedingungen daran hatten. Wir werden immer die Neigung haben, das Elend objektiv zu erfassen, d.h. uns mit unseren Ansprüchen und Empfänglichkeiten in jene Bedingungen zu versetzen, um dann zu prüfen, welche Anlässe zu Glücks- und Unglücksempfindungen wir in ihnen fänden. Diese Art der Betrachtung, die objektiv erscheint, weil sie von den Variationen der subjektiven Empfindlichkeiten absieht, ist natürlich die subjektivste, die möglich ist, indem sie an die Stelle aller anderen unbekannten seelischen Verfassungen die eigene einsetzt. Das Glück ist aber etwas durchaus Subjektives. Wir mögen noch so sehr vor gewissen Situationen zurückschrecken, der des antiken Galeerensklaven, des Bauern im 30jährigen Krieg, des Opfers der heiligen Inquisition, des Juden, der den Progrom erwartet, es ist uns jedoch unmöglich, uns in diese Personen einzufühlen, die Veränderungen zu erraten, die ursprüngliche Stumpfheit, allmähliche Abstumpfung, Einstellung der Erwartungen, gröbere und feinere Weisen der Narkotisierung in der Empfänglichkeit für Lust- und Unlustempfindungen herbeigeführt haben. Im Falle äußerster Leidmöglichkeit werden auch bestimmte seelische Schutzvorrichtungen in Tätigkeit versetzt."

Sigmund Freud, "Das Unbehagen in der Kultur", in: "Das Unbehagen in der Kultur" und andere kulturtheoretische Schriften. Frankfurt (Main): Fischer, 10. Auflage 2007, S. 29-108, hier: S. 55.

Betreff: 701 442 72 --- Austritt

Wofür man seinen Feiertag doch alles nutzen kann. Ich hab' Dinge getan, die ich über eine halbe Ewigkeit hinweg immer wieder prokrastiniert habe, weil ich die nötige Ruhe für sie einfach nicht gefunden habe: Ein paar Bilder aufgehangen. Und aus der SPD ausgetreten.
Lebt sich doch gleich viel besser mit solchen Wohnwertsteigerungen.

Macht = Kapital?

Vielleicht verfalle ich gerade in eine Revisionsphase, nachdem ich das Kulturheilige um Heideggers Gedanke der Geworfenheit zu ergänzen versucht habe. Ich wäge ab, ob sich Russells Gegenüberstellung von „geistiger“ und „technischer Macht“ nicht effektiver als geistiges und technisches „Kapital“ denken ließe. Russells Aussage war diese:

„Die Wissenschaft als geistige Macht ist skeptisch und wirkt etwas destruktiv auf den sozialen Zusammenhalt, während sie als technische Macht genau die entgegensetzten Eigenschaften besitzt. Die technischen Entwicklungen, die den Naturwissenschaften zu verdanken sind, erhöhten Größe und Wirkungsbereich der Organisationsformen und vermehrten insbesondere die Macht der Regierungen.“

Die Anlehnung an Bourdieu suche ich bewusst, auch wenn mir die Konsolidierung beider Konzepte (noch) schwer fällt. Denn nur auf den ersten Blick wirkt diese Einpassung als Ergänzung: Jedes „Feld ist ein Ort von Kräfte- und nicht nur Sinnverhältnissen und von Kämpfen um die Veränderung dieser Verhältnisse, und folglich ein Ort des permanenten Wandels.“ Was symbolisches, aufgeschlüsselt also ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital nicht zu fassen vermag, leisten seine geistigen und technischen Formen, indem sie die Stabilisierungen und Destabilisierungen erfassen, die Bourdieu mitgedacht hat. Das Feld aber lebt in jedem und durch jeden seiner Akteure, der sich wiederum am Habitus orientiert. Er – der Habitus – ist die jede (De-)Stabilisierung verhandelnde Instanz. Er trifft eine „systematische ‚Auswahl’ […] zwischen Orten, Ereignissen, Personen des Umgangs“ um sich so gegenüber „Krisen und kritischer Befragung“ zu sichern.

Meine Bedenken gegenüber Bourdieus Theorie rühren aus der Engstirnigkeit ihres Strukturalismus. Inwieweit hat er die Möglichkeit vorgesehen, dass Stabilisierung und Destabilisierung nicht nur innerhalb eines Felds austariert werden, sondern auch von Außen in ein Feld hineingetragen werden können? Wie hermetisch also ist sein Feld-Begriff? Joas und Knöbl erklären mir, dass Bourdieu weder „überzeugend[e] Auskunft darüber geben [kann], wie viele Felder es gibt [… noch] wo genau die Grenzen zwischen […] Feldern zu ziehen sind. Diese Fragen sind für mich deshalb von Bedeutung, weil ich Russells Dichotomie als Motivation für eine schwerere „geisteswissenschaftliche Vereinnahmung“ ökonomischer Theorien verstehen möchte. Es geht mir also nicht darum, habituelle Unterschiede zwischen dem Feld der Geisteswissenschaften und der ökonomischen Lehre zu kennzeichnen – sondern darum, zu erkennen, dass sie zwei Felder ungleichen Machtgewichts sind, mit unterschiedlicher Distanz zum Gravitationsschwerpunkt zu Politik, Wirtschaft, Globalisierung stehen.

Wollte man die Forderung nach einer „technischeren“ Geisteswissenschaft in Bourdieus Strukturalismus einfassen, lautete sie wohl: „Es gilt, den Habitus ökonomischen Denkens zu destabilisieren und postmodern zu färben.“

Ob Bourdieu die Möglichkeit solcher „Feldübergriffe“ erlaubt? Ist ein erster z.B. mit der Einführung des „Kulturwirts“ vielleicht schon getan?



Literatur
Hand Joas und Wolfgang Knöbl, Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen. Frankfurt (Main): Suhrkamp, 2004, S. 518-557.

Basiswortschatz Max Weber

Idealtypus
„[G]ewonnen durch einseitige Steigerung eines oder mehrerer Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von […] Einzelerscheinungen […] zu einem in sich einheitlichen Gedankengebilde.“ Ziel ist eine „scharfe Begriffsbildung“.

Kausalbeziehung
Das „Prinzip der adäquaten Verursachung“: Versuch der Feststellung, ob unter abgeändert oder nicht vorhanden gedachter Ursache das Ergebnis eines Vorgangs dasselbe ist.

Kultur
durch Werte mit Sinn und Bedeutung verknüpfter Teil der Wirklichkeit.

Logik & Methodik
garantieren korrekte Beweisführung und intersubjektive Überprüfbarkeit der Ergebnisse.

Wertfreiheit
Die Unterscheidung zwischen „Seiendem“ und „Seinsollendem“: die Forderung, „daß der Forscher und Darsteller die Feststellung empirischer Tatsachen […] und seine praktisch wertende, d.h. diese Tatsachen beurteilende, in diesem Sinn ‚bewertende’ Stellungnahme unbedingt auseinanderhalten solle […].“




GesetzeswissenschaftenWirklichkeitswissenschaften
suchen das Generelle der Erscheinungen (Gesetz)suchen die kausale Erklärung der individuellen Erscheinungen in ihrer Eigenart und historischen Bedingtheit (Wert)
Erklären / AussagensinnVerstehen (=deutendes Erfassen)
Verstehen der Motivationen der Handelnden sowohl intellektuell als auch einfühlend

Die Trennungen zwischen Gesetzes- und Wirklichkeitswissenschaften sind jedoch keineswegs so strikt wie hier angedeutet: Beide sind gleichzeitig durch das Ziel des „verstehenden Erklärens“ aufeinander bezogen.

Ziel der Wissenschaft
1.) Kausalanalyse der in der Erfahrung gegebenen Wirklichkeit;
2.) „Kenntnis der Bedeutung des Gewollten“: Umsetzungschancen, Zwecksetzungen und Folgen des eigenen Handelns aufzeigen, um die Bewusstwerdung und Bewertung zugrunde liegender Ideen und Werte zu ermöglichen; orientiert sich am „Postulat der inneren Widerspruchslosigkeit“.


Mit anderen Worten ...

Die allgemeine Verunsicherung, die ich verspüre, immer wieder - insbesondere hier - anspreche, ausschreibe, auszuräumen versuche: mal anders, nämlich musikalisch gefasst.


"Don’t really have the courage
To stand where I must stand.
Don’t really have the temperament
To lend a helping hand.

Don’t really know who sent me
To raise my voice and say:
May the lights in The Land of Plenty
Shine on the truth some day.

I don’t know why I come here,
Knowing as I do,
What you really think of me,
What I really think of you."


Wer Leonard Cohen kennt, kann vielleicht schon im Kopf hören, wie "The Land of Plenty" klingt. Ansonsten: Reinhören ...

Schwarzes, schwarzes Afrika

„Zu den wichtigsten Gründen für die Unterentwicklung gehören: ethnische Vielfalt, niedrige Produktivität, einseitige Exportstruktur, schlecht ausgebildete Arbeitnehmer, oft schwierige Boden- und Wachstumsverhältnisse, externe Schocks wie Währungsschwankungen, Kriege und Flüchtlingsbewegungen, niedrige Spar- und Investitionsquoten, geringes Niveau der Humankapitalbildung, tropisches Klima, geografische Isolation, Markt- und Staatsversagen und institutionelle Schwächen.“

Wenn man sich wie Robert Kappel [„Strukturelle Instabilität und Wachstumsschwäche: Wohin steuert Afrika?“, in: Böhler, Hoeren (Hrsg.), Afrika: Mythos und Zukunft. Freiburg (Breisgau): Herder, 2003, S. 178-193, hier: S. 178] nicht davor scheut, strukturelle, kulturelle, geographische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen in ihren nationalen und internationalen Konstellationen auf eine derart stumpfe Perspektive herunterzubrechen, verwundert es mich auch nicht mehr, wenn der eminente Lester Thurow diese Denke auf die folgende Quintessenz zuspitzt: „Afrika ist ein am falschen geografischen Ort liegender Kontinent, auf dem alles, was misslingen konnte, auch misslungen ist [Die Zukunft der Weltwirtschaft. Frankfurt (Main): Campus, 2004, S. 233]“: Weil alle „Wirtschaftsentwicklung [...] ein Küstenphänomen“ ist - „[f]ast 70 Prozent des Welt-BIP werden in weniger als 100 Kilometer Entfernung von der Küste produziert“ - und Afrika nunmal das Unglück zufällt, der „Kontinentalblock mit der im Verhältnis zu seiner Fläche kürzesten Küstenlinie der Welt“ zu sein; weil „[e]s kein Sozialkapital, keine sozialen Fähigkeiten oder politischen Führer, die langjährige, konsequente Wirtschaftsstrategien vorweisen können“, besitzt (S. 235); weil es den Ländern dort nicht ganz recht gelingen will, „sich zu organisieren“ (S. 236).

Selten kommen mir in solchem Maße „ver-rückte“ Wahrnehmungsmuster unter. Dass sie an Einfalt nicht zu übertreffen sind, bedarf keiner weiteren Betonung; ich traue mich gerade nur nicht, diese Frage zu beantworten: ob es denn ansatzweise möglich ist, solchen „Denkern“ (sofern sie denn überhaupt meinem Verständnis nach über die Welt „reflektieren“) konstruktiv ihre beschämende Einfalt aufzuzeigen?

Wortschatzerweiterungen - Klappe, die Zweite

Wo ich gestern noch eigene Wortschatzerweiterungen gesammelt habe: Wen der folgende Absatz entzückt, liest einfach hier weiter und macht seine Lektüre im Zeilenzwischentraumzeichenfeenlandschaftsraum zur regelmäßigen, weil mehr als lohnenden Gewohnheit ...

Zur Phänomenologie der Glykophilie

Die Phänomenologie der Glykophilie ist ein Gegenstand “voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken” (Marx). Die komplexe Dialektik des Objekts kann mit der fetischisierten Modalitäten der Subjektkonstitution innerhalb der spektakulären Vergesellschaftungsformen einer ihrer selbst entfremdeten Menschheit nur schwer harmonisiert werden. Dennoch liefert die von Helsing und Montgomery in “Spezifische Probleme marxologischer Protophänomenologie”1 entwickelte Methodologie der abstrakten Konkretion eine hinreichende Legierung, die es ermöglicht, den Fetisch, der sich speziell in der Sphäre der Ökotrophologie, die zur ausreichenden Reflexion des datierten Objektclusters unbedingt zu tangieren ist, peripher zu umgehen. Ohne diese aus erkenntnistheoretischer Perspektive durchaus kritikable Kathode ausreichend problematisieren zu können, ist es dennoch erforderlich, die Glykophilie als “Phänomen der Phänomene”, als “Sein des Seins” zu durchleuchten.
[weiterlesen]

Wortschatzerweiterungen

- „kulturelle Kosmologie“; „Kulturkosmologie“

- „hermeneutische Variable“: mit Rücksicht auf knappen Kenntnisstand vorläufig eingesetzter Näherungsbegriff, der auf den aktuell prädominantesten oder auffälligsten Aspekt eines Phänomens verweisen soll.

- „minoisches“ Rechtsgebärden; „minoische“ Gewalt; „minoische“ Rechtssprechung: Minos war, den Anmerkungen zu Dantes Göttlicher Komödie zufolge, „König und Gesetzgeber auf Kreta, der im Rufe unbestechlicher Gerechtigkeit stand.“

- „intellektuelles Wiederkäuen“: abschätzig besetzte Bestandsaufnahme für Projekte und Arbeiten, die allgemein Anerkanntes durch Neuformulierung als Perspektivausweitung präsentieren.

Zynisch, aber wahr

I like the way we've
been able to fuck up things here
as good as anywhere else
in only half the time.

Laurie Duggan, "Australia".

Präsent-was?

Manche Schlagworte, durch die neue akademische Strömungen ausgerufen werden sollen, verstecken ihre Banalität vergebens, weil sie mit einer solchen Offensichtlichkeit ihrem tatsächlichen Zweck dienen: der Drittmittelwerbung. Sofern sich jemand die Mühe machen möchte, eine hierarchisierte Aufstellung (neudeutsch: Top Ten) peinlicher Denkschulen zu führen – der „Präsentismus“ dürfte nicht nur nicht fehlen, sondern gehörte zweifelsohne auch auf einen ihrer vordersten Ränge.

Zwei Mahnungen scheinen seine Vertreter zusammenführen zu wollen. Zum einen der selbstverständliche Ruf, sensibel mit dem unvermeidlichen Übertrag der eigenen Wertmaßstäbe auf sozialhistorische Zusammenhänge umzugehen: Die Renaissance als sexistisch und autochtone Bevölkerungen als hoffnungslos vormodern wahrzunehmen sind zwar willkürliche, aber dennoch „repräsentative“ Beispiele verkrampfter Platzzuweisungen, die das historisch oder geographisch Andere nur im eindimensionalen Verhältnis zur eigenen Gegenwart begreifen lassen.

Zum anderen scheinen „Präsentisten“ zeitgleich dem Irrglauben aufliegen zu wollen, man könne durch intensive Beschäftigung mit dem eigenen, jüngsten Zeitgeist die geschichtlichen Interesseneinschränkungen der Gegenwart gegenbügeln, um einen reineren, unbelasteteren, „objektiveren“ Blick in die Vergangenheit richten zu können. Der „Präsentist“ sieht sich also in einer Doppelfunktion als gegenwartsbezogener Zeit-, aber vergangenheitsorientierter Kultur- und Sozialhistoriker.

Leistet all das nicht bereits in hervorragendem Maße jede sorgfältige Diskursanalyse mit dem Handwerkszeug, das einem Foucault beerbt hat?


Quellen:
Jon Klancher, "Presentism and the Archives".
Lynn Hunt, "Against Presentism".
SHAKESPER Roundtable: Presentism.

Und die Konsequenzen?

"[...] a new model has arisen over the past decade, in which visual cognition is understood not as a camera but something more like a flashlight beam sweeping a twilit landscape. At any particular instant, we can only see detail and color in the small patch we are concentrating on. The rest we fill in through a combination of memory, prediction and a crude peripheral sight. We don't take in our surroundings so much as actively and constantly construct them." Daher schlussfolgert man inzwischen: "'Our picture of the world is kind of a virtual reality, [...] a form of intelligent hallucination.' The benefit of these sorts of cognitive shortcuts is that they allow us to create a remarkably rich image of our environment despite the fact that our two optic nerves have roughly the resolution of cell-phone cameras."

Die Konsequenz ist durchaus die Richtige: "'The main thing is knowing that you've got limitations'". Allerdings scheint mir die Tragweite dieser neurologischen Erkenntnis keineswegs erschöpfend genug gefasst zu sein: "The control and management of attention is vital in all sorts of realms. Airplane cockpits and street signs would be designed better, security guards would be trained to be more alert, computer graphics would feel more natural, teaching less coercive.(Quelle, via).

Was, über ihre alltagspragmatische Anwendbarkeit hinaus, bedeuten solche Einsichten in die Wahrnehmungsleistungen des Menschen für die Geisteswissenschaften, für jede Erkenntnistheorie? "[K]nowing that you've got limitations" ist noch kein Eingeständnis, zu dem ich mich durchringen muss. Welcher Übertrag bleibt also für "uns" zu verrechnen?

Hermeneutische Variable

Der Begriff des „Kulturheiligen“ war für mich von vornherein ein verlegener, dessen Unbeholfenheit die Andeutung transzendentaler, metaphysischer Essenz nicht leugnen kann. Als vorläufige „hermeneutische Variable“ ist er mir dennoch mehr als hilfreich, insofern er mich auf etwas verwiesen hat, das ich inzwischen besser benennen zu können glaube. Das „Kulturheilige“ sollte die „Anerkennung des Anderen im Gegenüber“ bezeichnen, die mit der Pflicht aufwartet, „den kulturellen, sozialen oder wie auch immer aus meiner Perspektive begriffenen Hintergrund des Anderen 'wie etwas Heiliges', 'als etwas Heiliges', sprich: für mich nur mittelbar (wenn überhaupt) Begreifbares oder Zugängliches [zu] achte[n]“. Eine Formulierungsvariante, die meines Erachtens ähnliches vermittelt, ist Heideggers Idee der "Geworfenheit":

Geworfenheit nennt Heidegger die Art, wie das ich zu seinem eigenen In-der-Welt-sein gekommen ist. Die Geworfenheit ist nicht die faktische Geburt, sondern die konstitutive Form jedes menschlichen Lebens.“ [Quelle]. Im O-Ton: „Die Geworfenheit ist nicht nur nicht eine »fertige Tatsache«, sondern auch nicht ein abgeschlossenes Faktum. Zu dessen Faktizität gehört, daß das Dasein, solange es ist, was es ist, im Wurf bleibt und in die Uneigentlichkeit des Man hineingewirbelt wird“ [Quelle].

Dieser Erfahrung des „Geworfenseins“ ist nun – und hier schließe ich an das „Kulturheilige“ an – die uneingeschränkte „Dignität einer Erfahrung, die vergänglich ist“ (Walter Benjamin) zuzugestehen.

Das nur kurz notiert; für eine standfestere Verteidigung werde ich mich noch ein wenig belesen müssen ...

Emanzipation doppelt gedeutet

Die formale Abschaffung einer Diskriminisierung ist ungleich ihre Überwindung. Ich lasse mir diesen Umstand von Frantz Fanon in Black Skin, White Masks erklären:

„One day the White Master, without conflict, recognized the Negro slave (217). [...] Historically, the Negro steeped in the inessentiality of servitude was set free by his master. He did not fight for his freedom. [...] The Negro has not become a master. [...] The Negro is a slave who has been allowed to assume the attitude of a master. The white man is a master who has allowed his slaves to eat at his table“ (219).

Warum? Fanon argumentiert mit Hegel: „[...] human reality in-itself-for-itself can be achieved only through conflict and through the risk that conflict implies. This risk means that I go beyond life towards a supreme good that is the transformation of subjective certainty of my own worth into a universally valid objective truth“ (218).

Daher sein harsches Fazit: „The black man was acted upon. Values that had not been created by his actions, values that had not been born of the systolic tide of his blood, danced in a hued whirl around him. The upheaval did not make a difference in the Negro. He went from one way of life to another, but not from one life to another“ (220).

Ich verstehe seinen Aufruf, möchte seinen Imperativen Folge leisten. Wenn aber die Entideologisierung der Moderne zu größeren Denk- und damit: Gestaltungsfreiräumen führt - verfehlt Emanzipation dann nicht ihren ursprünglichen Zweck, ihren Handlungsimpuls, wenn ich in diese Freiräume bereits hineingeboren werde? Kehren wir dann nicht von unserem heutigen Emanzipationsverständnis ab? Sobald die „Aktion gesellschaftlicher und insbesondere politischer Selbstbefreiung“ ihre Forderungen durchgesetzt hat, fallen wir der nachfolgenden Generation gegenüber dann nicht zurück in den „Akt des Gewährens von Selbstständigkeit“? Dann schimmert die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs durch: „Emanzipation stammt von dem lateinischen emancipare: einen 'Sklaven oder erwachsenen Sohn' aus dem mancipium, der 'feierlichen Eigentumserwerbung durch Handauflegen', in die Eigenständigkeit zu entlassen.“

Gründet hier, im Problem dieses privilegierten in die Welt „geworfen seins“ (Heidegger), die Irritation postmoderner Gefühlslagen? Fehlt einem vielleicht zwar nicht der Wille, das Wollen zum Handeln, aber der gelebte Zwang, das konkrete Müssen - die Empathie?

Deontologisierung

[Vor einer halben Ewigkeit mal unterwegs in Bus oder S-Bahn notiert:]

Der Verzicht auf jegliche Ontologie ist unvorstellbar. Kein Denken kommt ohne eine zumindest grobschlächtige Fest-Stellung von Bedeutung aus. Das Eingeständnis muss also lauten: Der Verzicht auf "objektive", imperative Ontologien bedeutet nicht der Verzicht auf Ontologien per se. Das Subjekt verlässt sich - gedanken-, ja: zwangsläufig - auf subjektive Ontologien, deren Grenzen und Reichweiten vom persönlichen Erfahrungshintergrund abhängig bleiben. Um's mit einem peinlichen Neologismus zu erfassen: Der Mensch denkt "sobjektiv". Er objekiviert das subjektiv Erfahrene als Weltwissen. Daher gilt es bei der Hinterfragung unserer "Erfahrungsontologien" wohl, nicht anti-ontologisch, sondern de-ontologisch vorzugehen: Wir müssen sie prozesshaft abbauen. Allerdings reicht kaum die intensivere Auseinandersetzung mit einem Gegenstand: Vorbedingung ist die Einsicht, dass diese Deontologisierung immer wieder nur vorläufiges Wissen produziert, grundsätzlich unabschließbar bleibt. Deontologiserung = Aufklärung?

Fallstricke der Postmoderne

Rückblickend wirkt das, was ich "damals" als den groben Entwurf für diesen Blog vorgestellt habe, mehr als unbeholfen. Zeit also für eine ausführlichere Ausarbeitung. Gründe dafür gibt es genug - vornehmlich meine Magisterarbeit, die sich mit dem Thema auseinandersetzen soll. Den entscheidenen Impuls für das "Jetzt!" aber haben zugleich Claudias „Nachtrag“ als auch der hochgeschätzte Gregor Keuschnig mit seinen beiden Begleitschreiben zu Jerzy Jedlicki gegeben. Aus Die entartete Welt zitiert Keuschnig den folgenden Abschnitt über "[d]ie Intellektuellen als europäische Spezies":

„Der Grundzug der neuen Zeit ist nicht die Festigkeit der Überzeugungen – davon hatten wir immer mehr als genug -, sondern im Gegenteil eine Ungewissheit, die selbst jene Denker nicht verschont, die mit dem Absoluten auf vertrautem Fuss stehen, die aber wissen, dass heilige Gebote nur sehr verschwommene Hinweis geben, wie man in konfliktträchtigen und unübersichtlichen Situationen zu urteilen und zu handeln habe. Die Ethik der Erkenntnis heisst uns grösseren Respekt vor ehrlich eingestandenen Zweifeln als vor unzureichend begründeten Überzeugungen zu haben. So kann der Respekt vor der Wahrheit paradoxerweise zu einer Schwächung unserer moralischen Entschlossenheit im handeln führen.“

Das erinnert mich doch stark an Odo Marquard: „Skepsis ist der Sinn für Gewaltenteilung bis hin zur Teilung auch noch jener Gewalten, die Überzeugungen sind. Skeptiker ist nicht der, der - als Inhaber geballter Ratlosigkeit – gar keine Position hat sondern zu viele.“

Grundsätzlich: Die Postmoderne hat Recht mit ihrer aufmerksamen Verfolgung der so vertrakten Weltverhältnisse. Alles vielschichtig, alles hybrid, alles ständig im Fluss. Alles richtig, aber alles sehr privilegiert. „Die philosophische Demontage des Subjektbegriffs mag den berechtigten Zweifel spiegeln, ob in einer zunehmend vermittelten Welt die Verhältnisse ein Handeln im Sinne übersichtlicher Kausalketten überhaupt zulassen, ob die/der Einzelne frei ist, die Ziele seines Handelns in eigener Machtvollkommenheit zu bestimmen, und ob sie/er die eigene Position am Kopf der Kausalkette genießen kann. Im Generellen, außerhalb der Philosophie, denke ich, haben wir nicht die Wahl“, schreibt Hartmut Winkler. Und so belassen die postmodernen Denker Unrecht bei Unrecht, weil sie nichts für eindeutig erkennbar halten. Ihre zunehmende Selbstlähmung ist damit die endgültige Verzerrung ihres vielleicht ursprünglichen Anliegens: Emanzipation, Befreiung aus ungerechten und ungerechtfertigten Machtverhältnissen, ideologiefreie Selbstverortung und -bestimmung.

Die Quelle dieser Selbstlähmung? Ich will zur Beantwortung die Provokation wagen, die Anliegen von Postmoderne und Aufklärung gleichzusetzen. Die wohlbekannten Worte Kants:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Foucaults Interpretation derselben: „[...] the way Kant poses the question of Aufklärung is entirely different: it is neither a world era to which one belongs, nor an event whose signs are perceived, nor the dawning of an accomplishment. Kant defines Aufklärung in an almost entirely negative way, as an Ausgang, an 'exit', a 'way out.' In his other texts on history, Kant occasionally raises questions of origin or defines the internal teleology of a historical process. In the text on Aufklärung, he deals with the question of contemporary reality alone. He is not seeking to understand the present on the basis of a totality or of a future achievement. He is looking for a difference: What difference does today introduce with respect to yesterday?“

Verfolgt man diese Frage radikal, um mit ihr nicht nur die Basis unseres Bewusstseins, unserer Vernunft, sondern vielmehr noch: unseres Wissens in Frage zu stellen, kann das Projekt der Aufklärung das Versprechen seines Wortsinns niemals einlösen. Die Frage nach der Differenz wird zum Grund für die Diffärenz der Beantwortung, oder anders: Die verlangte Aufmerksamkeit für die Differenz des „Heute“ in Abgrenzung zu seinem „Gestern“ macht eine endgültige Aufklärung unabschließbar. Aufklärung klärt die Vertraktheit der Welt nicht auf, sondern verdichtet sie im Gegenteil bis in die individuellsten, subjektivsten Lebenswelten hinein.

Allerdings: Sie enttarnt sich dabei selbst als eine der zentralen europäischen „großen Erzählungen“ (Lyotard). Bei aller bereits von Beginn an formulierten Kritik ist es allerdings erst die Selbsterfahrung des Zweiten Weltkriegs, der Aufklärung und Moderne zerbricht und ihren Selbstbetrug aufdeckt. „Die glückliche Ehe zwischen dem menschlichen Verstand und der Natur der Dinge, die er im Sinne hat, ist patriarchal“, lautet Theodor Adornos und Max Horkheimers Variante dieser These, die sie in ihrer Dialektik der Aufklärung 1947 formulieren: „[...] der Verstand, der den Aberglauben besiegt, soll über die entzauberte Welt gebieten. Das Wissen, das Macht ist, kennt keine Schranken, weder in der Versklavung der Kreatur noch in der Willfährigkeit gegen die Herren der Welt. [...] Von nun an soll die Materie endlich ohne Illusion waltender oder innewohnender Kräfte, verborgener Eigenschaften beherrscht werden. [...] Als Sein und Geschehen wird [...] vorweg nur anerkannt, was duch Einheit sich erfassen lässt; ihr Ideal ist das System, aus dem alles und jedes folgt. [...] Die Vielheit der Gestalten wird auf Lage und Anordnung, die Geschichte aufs Faktum, die Dinge auf Materie abgezogen.“ Daher ihre deutliche Schlussfolgerung: „Aufklärung ist totalitär“ (S. 10-13).

Auf die Nuancen, die Adorno und Horkheimer vor ihrem unmittelbaren Erfahrungshintergrund überschreiben, verweist später Henri Lefebvre in seiner Einführung in die Modernität: 12 Präludien (1978). Er thematisiert nicht allein die „Entzauberung der Welt“ (Weber), sondern die allmähliche Entfernung vom Universellen und die folgliche Hinwendung zum Speziellen, den Perspektivwechsel vom Kontinuierlichen zum Diskontinuierlichen. „Überall entdeckt man [...] distinkte Einheiten: Atome, Partikel, Gene, Elemente der Sprache, Phoneme, Morpheme, usw.“ Mit diesen „neuen Termini“ habe man gleichzeitig auch „[...] die Probleme der Stabilität der Gesamtheiten, der Strukturen, Typen, der provisorischen oder dauerhaften Gleichgewichte thematisiert“ (S. 211).

Die postmoderne Zersplitterung ist also als Vorzeichen in den modernen „Probleme[n] der Stabilität der Gesamtheiten“ bereits angelegt. Aber nochmals: Es ist erst die katastrophale Destabilisierung des Zweiten Weltkriegs, die ihre allmähliche Ausformulierung provoziert - in der Einsicht, dass „[d]as Elend der großen Erzählungen herkömmlicher Machart [...] keineswegs darin [liegt], daß sie zu groß, sondern [...] nicht groß genug waren“ (Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2006, S. 14). Die Postmoderne darf sich damit als Aufklärung der Aufklärung verstehen: Sie lehnt den Rückgriff auf transzendentale Wahrheiten und Teleologien ab; „einfache Erklärungen“ sind ihren Denkern ein Unding; man argumentiert fortan aus dem Eingeständnis eingeschränkter Perspektiven, mit Gegensätzen, Widersprüchen, Antinomien, oszillierenden Mehrdeutigkeiten.

Jedoch: So grundsätzlich ihre Ansätze, so radikal offenbar die aus ihnen zu ziehenden Konsequenzen. Das Fazit Zygmunt Baumans: „The postmodern perspective offers more wisdom; the postmodern setting makes acting on that wisdom more difficult. [...] The postmodern mind is aware that each local, specialized and focused treatment, effective or not when measured by its ostensive target, spoils as much as, if not more than, it repairs. [...] The means to act collectively and globally, as the global and collective welfare would demand, have been all but discredited, dismantled or lost“ (Bauman, Postmodern Ethics, S. 245). Man dreht sich im Kreis, wie die hilflose Kapitelüberschrift der zitierten Passage bekräftigt: „In the end is the beginning“.

Wie bei Bauman, so auch hier zurück zum Anfang: zu Jedlicki. „Daher wird die Herausbildung eines neuen Typus des Intellektuellen – sensibel gegenüber Leiden und Unrecht, bereit zum Protest gegen Verfolgungen und Ungerechtigkeit, dabei aber Individualist und Skeptiker, der niemals als Apostel der Einen Wahrheit auf die Fähigkeit zum kritischen Denken und Zweifeln verzichtet – ganz gewiss ein schwieriger Wandlungsprozess, der unter dem Beschuss der Anwälte diverser heiliger Werte verlaufen wird. Sie werden dieser Haltung moralischen Relativismus vorwerfen und nachzuweisen versuchen, wie nutzlos solche Weicheier seien, die sich auf Vorbehalte und Zweifel, auf all diese verschiedenen „Aber“ spezialisiert hätten, wo die Menschen doch vor allem des Gefühls eines kollektiven Sinnes bedürften – und dessen Quellen könnten allein Glaube und Tradition sein.“

Die weniger verkopfte Variante dieser Zeilen formuliert Claudia – und sie trifft den Kern meines Anliegens: „Um nicht in der Verstörung der [postmodernen] Selbstlähmung zu verfallen“, schreibt sie, „ist es hilfreich, sich zu erinnern, dass der Impuls zum Handeln allermeist nicht aus der Analyse und Beschreibung von Welt entsteht, sondern aus der existenziellen Konfrontation mit ihr.“Ihre Beobachtung deckt sich mit der Aufforderung Jedlickis, die eigenen Denkhorizonte zu erweitern, weiter zu streuen, sie gegebenenfalls auch zu verlassen, um sie in konkretere Arbeitshorizonte münden zu lassen. Damit unterschreibe ich noch keinen ideologischen Marxismus, der die grundsätzliche Vereinigung von Kopf- und Handarbeit anstrebt. Stattdessen werbe ich immer wieder für einen Schritt in die BWL (z.B. mit Sumantra Ghoshals Aufsatz "Bad Management Theories Are Destroying Good Management Practices") oder in die Jura (Mark Wu, "Free Trade and the Protection of Public Morals: An Analysis of the Newly Emerging Public Morals Clause Doctrine"). Es gilt, unsere kritischen, aber unbewegenden Gedankenexperimente auf radikale, aber nicht aggressive Weise in andere Felder, in andere Diskurse zu übertragen, von "geistigen" in "technische" Bereiche vorzudringen; man setzt sich ansonsten zu offen dem Vorwurf der Komplizenschaft mit dem Stand der Dinge aus. Die Ansätze sind bereits gemacht worden – ich habe sie im vorangehenden Satz verlinkt: Wir müssen sie nur auflesen.

Verhandlungbasis

„[...] ich bin mir sicher, dass die Existenz von verschiedenen, miteinander im Dialog stehenden Auslegungen der Menschenrechte die Lebens-Situation vieler Menschen verbessern würde. Voraussetzung bleibt dabei jedoch die Anerkennung der grundsätzlichen Menschenwürde, oder? Und mit ihr bedarf es auch die Anerkennung einiger wirklich allgemeiner Menschenrechte, wie dem der Unversehrtheit der Würde.“

Das schrieb Robert neulich in Reaktion auf meine Menschenrechtsausleuchtung – vielleicht nicht, vermutlich aber wie ich bis vor kurzem doch ganz und gar unwissend gegenüber der laufenden Arbeit, die tatsächlich für die Formulierung „einiger wirklich allgemeiner Menschenrechte“ aufgewandt wird: Die sogenannten „Minumum Core Rights“ sollen über alle Auslegungswidersprüche hinweg die Essenz dessen erfassen und kristallisieren, was unhinterfragbar eines jeden Menschens Recht ist. Aktueller Formulierungsstand: „The Minimum Core of Economic and Social Rights: A Concept in Search of Content".

Während den minimalen Kernrechten also noch ein (ge)rechter Kern fehlt, will ich es wagen, in Vorleistung zu gehen. Abänderungen und Kommentare zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mache ich durch eckige Klammern [] oder Streichung kenntlich; ein Ausbleiben derselben gilt als Zustimmung zum Formulierten.


Artikel 1
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.

Artikel 2
Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.

Des weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.

Artikel 3
Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Artikel 4
Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten.

Artikel 5
Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

Artikel 6
Jeder hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden.

Artikel 7
Alle Menschen sind vor [dem ihrem jeweiligen] Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch [das ihr] Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstößt, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung.

Artikel 8
Jeder hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den zuständigen [innerstaatlichen gemeinschaftlich anerkannten] Gerichten gegen Handlungen, durch die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt werden.
[Dieser Anspruch „verfällt“ wohl unter einem jeden Regime, das sich der Einhaltung der Menschenrechte widersetzt. Wie deutlich macht unsere globalisierte Wirklichkeit die Dringlichkeit einer supranationalen Rechtsinstanz ...]

Artikel 9
Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.
[Darf jemand seiner Gemeinschaft verwiesen werden? Ich denke: ja.]

Artikel 10
Jeder hat bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.
[Was, wenn Recht nicht öffentlich, „unabhängig“ und „unparteiisch“, sprich: gewaltengeteilt gesprochen wird, sondern durch einen Gemeinschaftsrat oder -ältesten?]

Artikel 11
(1) Jeder, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.
[Auch hier wende ich ein: Es gibt andere Formen der Rechtssprechen außerhalb der unsrigen.]
(2) Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine schwerere Strafe als die zum Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.
[Was das abstrahierte innerstaatliche und/oder internationale Recht nicht als Unrecht anerkennt, soll ungestraft bleiben? Lokales, gemeinschaftlich verankertes Recht sollte vor säkulärem Staatsrecht / internationalem Recht gelten.]

Artikel 12
Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.


Artikel 13
(1) Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen.
(2) Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.


Artikel 14
(1) Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.
(2) Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen.

[Artikel 14 = Asylrecht]

Artikel 15
(1) Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit.
(2) Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln.


Artikel 16
(1) Heiratsfähige Männer und Frauen haben ohne jede Beschränkung auf Grund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte.
(2) Eine Ehe darf nur bei freier und uneingeschränkter Willenseinigung der künftigen Ehegatten geschlossen werden.
(3) Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.

[Der Vorstellung, „(d)ie Familie [... sei] die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft“ ist, widerspreche ich mit allergrößter Vehemenz. Neben der „Ehe“, wie sie für mich im Christentum und Judentum Definition gefunden hat, gibt es auch andere, nicht minderwertigere Formen der Nächstengemeinschaft. Artikel 16 = Familienrecht?]

Artikel 17
(1) Jeder hat das Recht, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben.
(2) Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden.

Artikel 18
Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.

Artikel 19
Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.


Artikel 20
(1) Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen.
(2) Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören.

Artikel 21
(1) Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken.
(2) Jeder hat das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern in seinem Lande.
(3) Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muß durch regelmäßige, unverfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen.

[Muss jede Gemeinschaft demokratisch organisiert sein?]

Artikel 22
Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuß der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde [und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit] unentbehrlich sind.

Artikel 23
(1) Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.
(2) Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
(3) Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.
(4) Jeder hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.

[Wo bleibt die Rücksicht auf agrarisch, nicht-industrialisierte Gemeinschaften?]


Artikel 24
Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.


Artikel 25
(1) Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und [seiner Familie seinen Nächsten] Gesundheit [und Wohl] gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.
(2) Mutter und Kind haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche wie außereheliche, genießen den gleichen sozialen Schutz.


Artikel 26
(1) Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muß allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.
(2) Die Bildung muß auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muß zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.

(3) Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll.
[Da Bildung nicht näher definiert wird, verzichte ich auf ihre rechtliche Kodierung: Gemeinschaftswissen oder „Bildung“ kann durchaus über andere Kanäle als die Grundschule tradiert werden.]

Artikel 27
(1) Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.
(2) Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.


Artikel 28
Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.

Artikel 29
(1) Jeder hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist.
(2) Jeder ist bei der Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die [das Gesetz seine Gemeinschaft] ausschließlich zu dem Zweck vorsieht, die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohles [in einer demokratischen Gesellschaft] zu genügen.
(3) Diese Rechte und Freiheiten dürfen in keinem Fall im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen ausgeübt werden.

Artikel 30
Keine Bestimmung dieser Erklärung darf dahin ausgelegt werden, daß sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, welche die Beseitigung der in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat.