Rückzug

Ab gleich und bis zum siebten, achten oder neunten August wird sich in meinem Kopf - und damit auch hier - Urlaubsstimmung und -stille einrichten. Bitte also nicht wundern, Claudia, dass Deine Rückmeldung für's Erste keine Antwort erfährt ...

Ex oriente lux?

Desillusionierend: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, „die von der UN-Generalversammlung am 10.12.1948 verkündet wurde [… hat w]ie alle Beschlüsse der Generalversammlung […] lediglich empfehlenden Charakter und entfaltet keine rechtliche Bindung.“ Erst achtzehn Jahre später (!) werden die Internationale Pakte über bürgerliche und politische Rechte (der sog. Zivilpakt) sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (der sog. Sozialpakt) verabschiedet. Allerdings weiß man inzwischen, dass eine Verabschiedung noch keine Ratifizierung bedeutet: letztere folgte erst weitere zehn Jahre (!) später, im ersten Quartal 1976. Und selbst damit ist noch kein entscheidender Wendepunkt in Menschenrechtsbelangen erreicht. Nach wie vor kann der Einzelne erlittene Menschenrechtsverletzungen nur gegenüber dem eigene Staat einklagen. „Die[se] vertraglichen Individualbeschwerdeverfahren […] nach dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte oder der Rassendiskriminierungskonvention setzen eine zusätzliche Unterwerfungserklärung des betr. Staates voraus, die bislang von 104 Staaten abgeben wurde“ (Woyke (Hrsg.), Handbuch Internationale Politik, 10 Aufl. 2006, S. 311).

Überfälliger Verweis also auf den Internationale Strafgerichtshof. Nur: „Gründung 17.7.1998 in Rom, das Statut des ICC trat am 1.7.2002 in Kraft, Vereidigung der ersten Richter am 11.3.2003.“ Wie zynisch, dass der Tschad diesen Hof eher anerkennt (nämlich seit dem 1.11.2006) als die USA und Israel, die beide „mitgeteilt [haben], das Statut nicht zu ratifizieren.“ Unserer stolzen Kulturtradition zum Trotz tritt die westlich „zivilisierte“ Welt also erst seit wenigen Jahren vielleicht im Ansatz „effektiv“, d.h. auf rechtlichem Grundstein für die Menschenrechte ein.

Zwar spricht die „empfehlende“ Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von der „Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen“. Allerdings blieb das Prinzip der Selbstbestimmung einer mehrdeutigen Auslegung unterworfen: Ähnlich wie zuvor in der Völkerbundsrhetorik behielten es sich die Vereinten Nationen vor, selbst zu bestimmen, wem gegenüber diese „Anerkennung“ wann und unter welchen Umständen erfolgen könne. Es bedurfte daher, allen vorherigen Gleichheitsbeteuerungen zum Trotz, einer separaten, ausdrücklichen „Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker“. Man täusche sich jedoch nicht: Dieser Vorstoß erfolgte keineswegs so „zeitnah“ wie man es sich verstellen möchte. Die „Erkenntnis, dass die Völker der Welt das Ende des Kolonialismus in allen Erscheinungsformen ersehnen“, war eine späte und wurde erst am 14. Dezember 1960 (!) als Resolution 1514 (XV) von der Generalversammlung verabschiedet. Und auch hier greift erneut die vorhin bereits angebrachte Mahnung: Die Verabschiedung bedeutet noch keine Ratifizierung.

Diese Ungleichzeitigkeit, wie man sie freundlich bezeichnen könnte, setzt der Charta der Vereinten Nationen und ihrer Allgemeine Erklärung der Menschenrechte einen zwiespältigen Horizont. Die „Akte[…] der Barbarei“, die dem Wortlaut der Erklärung zufolge „das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen“ sprechen einen, und nur einen, nämlich den eigenen Erfahrungshintergrund an, den die Präambel der Charta formuliert: die „Geißel des Krieges […] die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“.

Ohne das Leid, das über 20 Millionen Menschenleben eingefordert hat, relativieren zu wollen, deuten sich dennoch die ersten Konturen einer Konstruktion an, die ich nur kritisieren kann: Das Trauma des Holocausts wurde zum Geburtstrauma, zum Beginn einer besseren Welt“ (14), das seine moralische Autorität als „kosmopolitisches Gedächtnis“ (11) auf der „Erfahrung der Katastrophe“ (12), des Kriegs und der Zerstörung im Verlauf des Zweiten Weltkriegs (11) gründet. Aber „unsagbares Leid“, und auf diese fehlende Konsequenz will ich immer wieder hin argumentieren, geschah nicht nur andernorts, sondern schon früher und unter europäischer Aufsicht. Für die Verwüstung, die Europa mit ihrem größtenteils doch unfreiwilligen Rückzug aus den von ihr eroberten Erdteilen hinterließ, brachten wir bereits damals – und bringen heute noch weniger – Anerkennung auf.

Mit dieser Bestandsaufnahme ist allerdings noch nicht alles gesagt. Behält man den Zeitpunkt der Resolution 1514 (XV) im Hinterkopf, provozieren die Vereinten Nationen bereits in ihrer unmittelbaren Nachkriegskonstellation die Kritik, die später durch die Stimme Kwame Nkrumahs unter dem Schlagwort des Neo-colonialism, der Last Stage of Imperialism (1965), konzentriert werden sollte. Beispielhaft nämlich verankert die Charta der Vereinten Nationen als rhetorische „Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker“ das, was bis zu dem Zeitpunkt ihrer Ratifizierung als paternalistische Bevormundung und Hinführung auf den zivilisierten, bürdevollen Weg Europas galt, erneut. Artikel 55 der Charta der Vereinten Nationen formuliert: „Um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizuführen, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche, auf der Achtung vor der Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen herrschen, fördern die Vereinten Nationen […] die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftliche und sozialen Fortschritt und Aufstieg […].“

Gemeinsam vorwärts also: Der Blick auf die Kontinuitäten zwischen dem Vor- und dem Nachkriegseuropa lässt den symbolischen Schimmer der Charta und der Allgemeinen Menschenrechtserklärung verblassen.

Mich erstaunt – positiv - dass schon wikipedia den Kern meiner Einwände andeutet: „Viele Autorinnen der postkolonialen Kritik verweisen auf ein hierarchisches Verhältnis des Westens und Europas gegenüber anderen Regionen und betrachten den Menschenrechtsdiskurs vor dem Hintergrund einer kolonialen Geschichte und postkolonialen Gegenwart. Dazu gehören Autoren wie Frantz Fanon, Stuart Hall, die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, Homi K. Bhabha, Edward Said, Gayatri Chakravorty Spivak oder Gauri Viswanathan. Damit verbunden ist eine Kritik am Eurozentrismus, etwa dass das Konzept der Menschenrechte seine Wurzeln in der europäischen Philosophie habe. So hätten die Philosophen der Aufklärung nicht nur emanzipatorische Projekte verfolgt, sondern auch rassifizierende und essentialisierende Konzepte verwissenschaftlicht, mit denen kolonialistische Politiken auch in rechtsphilosophischer Hinsicht – wie die Praxis eines Racial Contract […] – legitimiert wurden. Der Menschenrechtsdiskurs wird hierbei auch unter den Aspekten der weißen und europäischen Bildungsprozesse der eigenen Identität und nationaler Diskurse betrachtet. Diese Autorinnen verweisen dabei auf die Etablierung einer weißen Dominanzkultur. Zur Absicherung bestehender sozialer Verhältnisse, die für die weißen Dominanzkultur Privilegien schaffe, gehöre es auch, dass Weiße sich phantasierten, was für die ihnen fremden Menschen und Kulturen gut sei. Eine reduzierte Wahrnehmung sei es, Menschen in anderen Regionen beständig als Opfer wahrzunehmen. Damit ist ein gesellschaftlicher Prozess gemeint, den Autoren wie Slavoj Žižek […], Alain Badiou […] und andere als Viktimisierung beschreiben.“

Die Schwäche der Menschenrechte ist also diese: Sie sind blind gegenüber den Abstraktionen, die ihnen zugrunde liegen – und verbauen damit jedes Existenzrecht für Gemeinschaften, die sich anders, nicht-demokratisch, nicht-industriell, nicht-europäisch organisieren. Ihrer monadischen Setzung: dem Individuum, ist und bleibt ein Menschenbild zugrunde gelegt, das kein „Du bist“, sondern ein noch ausstehendes „Du sollst“ vorgibt: Der Mensch hat sich an europäischen Wert- und Lebensmaßstäben zu bewähren – Lebensstandard, Vollbeschäftigung, wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt.

Man lese die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte mit angemessener Ruhe, und korrigiere mich unter Umständen, bitte – aber ist es nicht allerhöchste Zeit für ihre Neuformulierung? Der Mensch ist – zum großen Glück! – nicht so nackt, so vollständig aus seinem unmittelbaren sozialen Umfeld herauslösbar, wie es die 30 Artikel, und ähnlich ihre philosophierte Variante, der Kosmopolitismus, gerne projizieren (Nida-Rümelin, S. 229). Wo, zwischen ihren Absätzen, bleibt Platz, vorsichtig formuliert, für nach wie vor „verzauberte“ Kulturkosmologien, die sich nicht deckungsgleich mit unseren Konstruktionen von Individuum, Familie und Selbstbestimmung; Rechtsprechung; sozialer, wirtschaftlicher und kultureller (Mit-)Gestaltung; Wissensorganisation und „Bildung“; Arbeit; ganz grundsätzlich: von Freiheit nicht erklären und verstehen lassen? Ganz in diesem Sinne verstehe ich die Kritik von Deleuze und Guattari (via): „Die Menschenrechte sagen nichts über die immanenten Existenzweisen des mit Rechten ausgestatteten Menschen.“

Beziehen wir diese Frage allerdings nicht in unser Denken ein, laufen wir in ernsthafte Gefahr, erneut alle Welt mit missionarischer Geste aufklären zu wollen – wenn auch nicht militärisch, so doch kosmopolitisch: Jede „Vielfalt in Einheit“ zwingt nach wie vor zur Etablierung einer, und nur einer Einheit. Müssten wir nicht nach einer "Vielfalt in Verschiedenheit" streben?

Über Ökonomisierung

„Ökonomisierung bedeutet zunächst nichts anderes als Rationalisierung, Effizienzsteigerung und Leistungsorientierung. Wer konsequent ökonomisch handelt, erledigt seine Arbeit so, dass er das selbe oder ein besseres Resultat in kürzerer Zeit und mit verbesserten Mitteln erreicht. Durch den Einsatz neuer Technologien etwa, durch Arbeitsteilung oder besseres Zeitmanagement. Der Gewinn ist übrigens jedes Mal – freie Zeit. Zeit für andere Tätigkeiten oder all die schönen Dinge jenseits der Arbeit.
Das genau also heißt Ökonomisierung: Das Gleiche in weniger Zeit. Zeit, die man wieder investieren kann, um neue Erträge zu ernten. Mehr Geld oder mehr Wissen zum Beispiel. So entsteht Produktivität“
(Quelle).

Lehrt mich die BWL nicht – und vielleicht täuschen mich hier auch nur meine laienhaften Fremdkenntnisse – dass jeder Marktprozess letztlich ein Nullsummenspiel ist? Dass es für jeden Produktivitätsgewinner an anderer Stelle, an anderem Ort und zu anderer Zeit, einen Verlierer gibt, für den Einbußen entstehen? Während ein „Verlust“ an sich noch nichts Tragisches in sich bergen muss, irritiert mich die Wahrnehmung von „Verlusten“ aus einer „ökonomisierten“, den Verlust „naturalisierenden“ Logik heraus. Soweit ich es überblicke, ist Ö. nämlich keineswegs allein das Recht des Stärkeren, des Schnelleren; nicht nur Rationalisierung und effizienzgeleitete Nutzengewichtung, Aufwandskonzentration; nicht nur Kostenminimierung zur Einsatzmaximierung. Dem ökonomisch Denkenden fehlt der Respekt vor seinem Gegenüber. Achtung gewährt er nur, weil sie als Vorsicht dem Selbstschutz, der Rücksichtnahme auf sich selbst dient. „Im wirtschaftlichen Denken widerfährt dem Opfer keine Ehre“, lese ich bei Adolf Muschg (Was ist europäisch? Reden für einen gastlichen Erdteil; 26). „Das Soziale ist [eben] leider keine erfreuliche – und schon gar keine automatische – Nebenwirkung des unbeschränkten Wettbewerbs. Als darwinistisches Prinzip neigt dieser eher dazu, die Grundlagen des Sozialen zu zerstören und den Gerechtigkeitssinn zu entwerten, denn dieser kann die Gesellschaft etwas kosten“ (32).

Aber: Genügt Einsicht als erster Schritt auf dem Weg zur gelobten Globalisierung Besserung?

Hallelujah!

Das Totschlagargument, im zweiten Irakkrieg sei es letztendlich um die Sicherung zukünftig unverzichtbarer Energieresourcen unter dem Deckmantel freundlicher Demokratisierungsversuche gegangen, dürfte sein Meinungsbild vielleicht um diesen CNN-Bericht ergänzen wollen (via).

Statistisch gesehen ...

... und darüber mag auch eine graphisch ansprechende Aufbereitung nicht hinwegtäuschen, geht es mir in diesem Blog vor allem um eins: um "die" (via).

Warum immer wieder Europa?

Das Buch: Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust. Frankfurt: Suhrkamp, 2007.

Die Autoren: Daniel Levy; Natan Sznaider



Die These, aufs Gröbste zusammengestrichen: „Das Trauma des Holocausts wurde zum Geburtstrauma, zum Beginn einer besseren Welt“ (14), das seine moralische Autorität als „kosmopolitisches Gedächtnis“ (11) auf der „Erfahrung der Katastrophe“ (12), des Kriegs und der Zerstörung im Verlauf des Zweiten Weltkriegs (11) gründet.

Das Gegenargument: Mit der Kernthese, die „Erfahrung der Katastrophe“ sei notwendige Ursache für die „Kosmopolitisierung“, für das Entstehen einer „kollektive[n] Erinnerung als […] Erinnerung an Schuld“ (11) als Basis eines ethischen Wertesystems, erklärt sich, warum Europa die brutalen Seiten kolonialer und imperialer Gewalt nicht als solche wahrgenommen hat: Die Erfahrung dieses Leids war nicht „prägend“ genug. Spricht aber nicht das gerade für die Gefahr, dass die Nachfolgegenerationen des Zweiten Weltkriegs in eine ähnliche Apathie zurückverfallen? Welche Schrecken, welche Katastrophen hat ein Kind des Wirtschaftswunders durchlitten, haben den Globalisierungsgewinner einschneidend bewegt, um die Achtung vor zukünftigen Wiederholungen dieser Schrecken, dieser Katastrophen nicht nur einzufordern, sondern tatsächlich zu leben?

Baumans Worte sind für mich eher Fakt: “No victory over inhumanity seems to have made the world safer for humanity. Morla triumphs, apparently, do not accumulate; in spite of the narratives of progress, movement is not linear – yesterday’s gains are not reinvested, nor are the bonuses once awarded irreversible. Ever anew, with each shift in the balance of power, the spectre of inhumanity returns from its exile. Moral shocks, however devastating they might have seemed at the time, gradually lose their grip – until they are forgotten. All their long history notwithstanding, moral choices seem always to start from square one” (Zygmunt Bauman, Postmodern Ethics. London: Blackwell, 1993, S. 228-229).

Wenn die Autoren diesen Einwand mit dem Verweis kontern, dass es ausgerechnet „durch massenmediale Bilder“ gelungen sei, „dieses Verbrechen [die Shoa] so zu vermitteln, daß eine emotionale Identifizierung möglich wurde“ (14), verkennen sie die grundlegende Verschiebungen europäischer Erfahrungswelten: der Erlebnischarakter der Massenmedien, des Computers, des Internets und der Photographie haben keine ausschließliche Sensibilisierung, sondern allemal eine Teilsensibilisierung erreicht, die doch von einer gleichzeitigen Desensibilisierung begleitet wird. Die Kritik Susan Sontags: “The problem is not that people remember through photographs, but that they remember only the photographs.” Und auch sie lehnt, wie schon Bauman, die Umklammerung durch „kollektive“ Identitäts- und Geschichtsstiftungen als äußerst problematisch ab. “Strictly speaking, there is no such thing as collective memory – part of the same family of spurious notions as collective guilt. But there is collective instruction. [… C]ollective memory is not a remembering but a stipulating: that t h i s is important, and this is the story about how it happened, with the pictures that lock the story in our minds” (Susan Sontag, Regarding the Pain of Others. New York: Picador, 2003, S. 85-86, 89).

Mein Fazit? Enttäuschung. Keine Hinterfragung der eigenen These, keine schlagenden Argumente. Das europäische Moralkollektiv wird ausgerufen, seine Existenz ohne Zweifel behauptet, Verweise in die Nachkriegsgeschichte und die heutige Realpolitik nachlässig ausgeblendet. Die meines Erachtens unbeantworteteste Frage: Warum ist es ausgerechnet die europäische Erfahrung, die kosmopolitisiert werden soll? Müsste das Erkennen unseres Leids nicht die Anerkennung vorangegangenen, aber durch Europa zu verantwortenden Leids – und damit: gerade dessen Kosmopolitisierung bedeuten? Warum schon wieder, immer wieder Europa?

Schreiben und Lesen

Je nachdem, wie ich sie betone, meine Worte; je nachdem, welchen Ton ich mit ihnen treffe, das heißt: wie ich sie also (be)stimme und vertone, ist „um-schreiben“ = neu schreiben, anders schreiben, übersetzen, Übertragung; nicht nur umkreisen, Annäherung, vorsichtiges hermeneutisches Arretieren. (Um-)Schreiben ist Vermeidungsstrategie, die schwerwiegende Verluste verhindern soll.

Gilt das nicht erst recht für das Lesen? „Um-lesen“ = nicht nur neu lesen, erneut entdecken, hervorholen, klarstellen, sondern umschichten, herumlavorieren und –laborieren. Eine Berührung, Anschluss suchen. Schreibender und Lesender suchen dasselbe: Gehör, den jeweils anderen.

Doch: bleibt es nicht bei der Andeutung, beim Anklang, einer Finte der Kommunikation? Literatur erschafft keine Beziehungen, ist nicht Verbindung zweier Welten, sondern nur y = f(x0) + f’(x0) x (x - x0): leise Tangente. Noch einmal, gewiß, aber für mich ist noch einmal stets ein neues Mal, auf jedesmal ganz neue Weise, nochmals stets ein erstes Mal, einmal mehr und ein für alle Mal das erste Mal. Nicht ein einziges Mal immer, sondern sondern ein für alle Mal das erste Mal, wie Derrida es "einmal" "festgehalten" hat.

Hemden und Punkrock

via jordroek abonniere ich seit Kurzem das, was m.arschflugkoerper in die Welt setzt: soziologisches, medientheoretisches, kulturelles und kleine, aber feine Alltagsgeschichten – mehr als lesenswert aufgrund einer vorsichtigen, genauen Schreibe. Mitlesen, also.

Welches Recht vor welcher Macht?

Die Realität widerlegt den Journalisten Thomas Assheuer. Eine Replik auf „Recht vor Macht. Der Supreme Court widerlegt den Philosophen Giorgio Agamben“ (Die Zeit Nr. 26, 19. Juni 2008, S. 41).

Veröffentlicht hier.

Gut gesagt, Herr Neugebauer

Zwischen den vielen Zeit-Kommentaren gerade diesen von Herrn Neugebauer mit großem Schmunzeln gelesen:

In der heutigen Zeit der erhöhten Gewaltbereitschaft - wo man nirgendwo sicher ist ... sollte Jeder einen Scanner bei sich tragen. Damit vor Erstkontakten und auch später erst geklärt werden kann: ob diese sich Fremden überhaupt miteinander sprechen können oder ob nur Heute der Tag ungünstig ist - oder vielleicht nur die Stunde. Wenn alles "im grünen Bereich" liegt - dann könnte man ja evt. auch mit einem Richter mal sprechen - oder mit einem Arzt - oder ein Arbeitsverhältnis beginnen oder ... lieber vorzeitig da oder dort ausweichen.