Perspektivfrage

Wenn man aus wissenschaftlicher, soll heißen theoretisch-abstrakter Perspektive von Orientalismus spricht, bleibt das Phänomen in seinen kulturellen, oder anders: gelebten Dimensionen kaum greifbar. Damit spiele ich auf nichts anderes an als das klassische Problem der Verknüpfung dessen, "was man an der Uni macht" mit "dem, was man tagtäglich auf der Straße" beobachtet. Die Abstraktion, die schon eine Übersetzung erlebter Welten ist, macht der Rückübersetzung in den Alltag zu schaffen - wenn sie nicht ganz aufgegeben wird. Konkretes Beispiel für einen solchen Fall, in dem sich zwei über ein und dasselbe Phänomen empören: Mein Artikel vs. die Variante Stefan Niggemeiers, die ganz ohne akademische Schlagworte auskommt.

Was ich mich frage: Ist der ein Träumer, der glaubt, man könnte beides übereinbringen?

Ganz doll

Nachdem ich gestern gegen die Erhaltung Tempelhofs gestimmt habe, ärgere ich mich, dass ich den Medienberichten im Vorfeld nicht schon näher gefolgt bin. Erst nach der Schließung der Wahllokale habe ich in der SZ gelesen, dass [...]die Bürgerinitiative ICAT [... nicht nur ...] von dem Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger sowie von der FDP [... und] großen Teilen der Wirtschaft [...] unterstützt worden war. Auch der Springer-Verlag hat mit vier Tageszeitungen für den Weiterbetrieb des Tempelhofer Flughafens, ja, man kann es wohl nicht anders nennen: "geworben". Der letzten Umfrage der Berliner Morgenpost zufolge, die mir im Berliner Fenster entgegenflimmerte, seien 49% der Berliner Bürgerinnen und Bürger gegen eine Schließung gewesen, während sich 40% dafür ausgesprochen hätten.

Merkwürdig, dass diese Unterstützung gestern so stark eingebrochen ist. Nach einer Wahlbeteiligung von 36,1% und einem (deutlichen) Zuspruch von 60,2% für den Flughafenerhalt ist das Begehren an den rechtlichen Quoren gescheitert: 21,7% haben der Wahlberechtigten haben sich für den Erhalt ausgeprochen - 25% hätten es sein müssen.

Aber das nur nebenbei. Irrwitzig und jeglicher Legitimation entbehrend argumentieren nun im Nachhinein die Morgenpost und Herr Pflüger von der CDU fast unisono. Insgesamt nahmen 36,1 Prozent der Wahlberechtigten an dem Entscheid teil, von denen 60,2 Prozent für den Erhalt des Flugbetriebes stimmten [...], so der Artikel heute morgen.

Der Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger bezeichnete das Ergebnis des Volksentscheids nichtsdestotrotz als Sieg. "Es sind über 500.000 Stimmen", betonte Pflüger. Am nötigen Quorum sei man nur "knapp vorbeigeschrammt". Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) müsse das als "klare Botschaft" akzeptieren und Tempelhof offenhalten. "Das ist ein doller Sieg", sagte Pflüger. Niemand habe sich vorstellen können, dass es so ein deutliches Ergebnis mit rund 60 Prozent Befürwortern gebe.

Aha. Die Mehrheit einer Minderheit ist also für den Erhalt, aber Mehrheit ist Mehrheit. Und die ist gewachsen, aber kräftig - statt der 49% Unterstützung im Vorfeld sind's also nun 60% Pro-Stimmen. FDP-Fraktionschef Martin Lindner: Die Mehrheit der Berliner habe sich für die Offenhaltung des Flughafens Tempelhof ausgesprochen sagte er mit Blick darauf, dass rund 60 Prozent der Abstimmenden Ja angekreuzt hatte. Pflügers Selbstbewusstsein möchte man haben: "Wer das zu einer Niederlage macht, der hat von Demokratie nichts verstanden." Was der Wähler stattdessen verstehen müsste: [...] Wowereit habe die ganze Zeit argumentiert, der Volksentscheid sei rechtlich nicht bindend, warum sollte es dann das Quorum sein. Danke für die Anleitung.

Kurze Trendanalyse

Eine kleine Bestandsaufnahme und Orientierungshilfe in der Sache "Demokratie direkt": Wählen ist out: Die Bundesbürger entdecken Petitionen und Volksentscheide. Sie nutzen dafür so eifrig das Internet, dass nun schnellere Technik zur Verfügung gestellt werden muss.

Mehr in der SZ ...

In aller Munde

Kaum an unsensiblem Umgang zu überbieten sind die derzeitigen Beiträge Europas zur allmählich eskalierenden Nahrungsmittelkrise. Wie immer mangelt es nicht an wohlgemeinten Lösungsvorschlägen - "Wie Afrika mehr Essen produzieren könnte", liest man seit wenigen Tagen in der NZZ, die die "Steigende[n] Nahrungsmittelpreise als Chance für die Bauern" begreift. Wirklich peinlich wird's darüber hinaus dann, wenn die Presse schneller schreibt als sie denkt: Die steigenden Nahrungsmittelpreise sind in aller Munde, heißt es im selbigen Artikel weiter. Ähnlich unbeholfen reagiert auch der Tagesspiegel: Die steigenden Lebensmittelpreise treffen jeden – allerdings die einen mehr als die anderen.

Mit solcher analytischen Brillianz bewegen sich die Damen und Herren Journalisten auf ein und demselben Niveau mit den Damen und Herren Politikern, deren von deren (mangelnden) Kompetenzen eine schnelle und vor allem: langfristige Lösung der Krise abhängt. „Ich glaube nicht, dass das, was wir jetzt an Preisentwicklungen in der EU erleben, das eigentliche Problem ist. Es besteht darin, dass anderswo auf der Welt gehungert wird.“ Nein, das ist keine Grundschulweisheit, sondern die Erkenntnis Jutta Haugs, ihres Amtes Haushaltsexpertin bei den Sozialdemokraten im Europaparlament.

Ich bin beeindruckt, Frau Haug. Und das gleich doppelt: Bei aller politischen Selbstkritik, der sich die EU und ihre größten Mitgliedsstaaten wie immer einmal mehr erst dann stellen, wenn die Krise eskaliert, schaffen Sie und Ihre Kollegen es doch noch, den Anstrich der spontanen, heldenhaften Geberin Europa zu erneuern. Gleichzeitig mit dem Fingerzeig auf die möglichen Ursachen der Krise – der Hunger in den aufstrebenden Schwellenländern? Der steigende Ölpreis? Der Klimawandel? Die EU-Agrarsubventionspolitik? – verkünden unsere Spitzen mit einem Brustton, dessen Resonanz Stolz und Mitleid vermitteln will, mit einer Geste, die so selbstgefällig und zugleich erbarmend wirkt, mit einer Erleichterung, die man als Ergebnis umstrittener Finanzumschichtungen andeutet, nun tatsächlich die zunächst noch vorbehaltliche, weil gerade erst beantragte Bereitstellung von Rekordsummen: Die rund 160 Millionen Euro für Nahrungsmittelhilfe, die die EU-Kommission im März bereitstellte, sollen nun auf auf knapp 280 Millionen Euro aufgestockt werden.

280 Millionen Euro Lebensmittelhilfe – ein Betrag, dessen Kaufkraft auf zwölf Monate verteilt noch nicht einmal ausschließlich, sondern lediglich vor allem hungernden Menschen in Afrika, Asien, der Kaukasusregion und im Nahen Osten zugute kommen soll.

Kein Kommentar – und das vor allem von Seiten der „kritischen Presse“. Warum versäumt sie es bloß mit sturer Konsequenz, solche Zahlen zu hinterfragen? Aus Sorge, man empfehle sich vielleicht nun doch schon als lärmende Globalisierungsantis, wenn man das kollektive Gedächtnis mit ein paar Erinnerungshinweisen auf Europas „Verpflichtungsfreiheiten“ auffrischt?

Bei solch politisch inszenierter Selbstgefälligkeit sollte man nach den Suffleuren fragen. Zwar kann sich Deutschland laut Netzeitung damit brüsten, zum weltweit zweitgrößte[n] Geber nach den USA aufgestiegen zu sein. Übersetzt man diese Statistik in die Realität barer Münze, bleiben die 12,2 Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe, die Deutschland im Jahr 2007 zur Verfügung gestellt hat, allerdings eine beschämende Summe, die gerade einmal 0,37 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens ausmacht. Ein so großes Herz haben die Deutschen also. Das Eingeständnis von offizieller politischer Seite, dass wir [...] noch einen weiten Weg vor uns haben – so die übergenaue Einschätzung Frau Wieczorek-Zeuls wirkt nicht nur dürftig, sondern geradezu makaber.

Dass das WFP (World Food Programme der VN) [...] wegen der kritischen Situation auf eine Budgeterhöhung durch Geberländer hofft, ist nicht deshalb eine eigene Katastrophe, weil unser Entwicklungshilfebudget etwa an anderer Stelle überstrapaziert wäre, sondern weil dieses Budget bereits grundsätzlich kaum einen nennenswerten Beitrag zur rhetorisch aufgeblähten Wirkung unserer Entwicklungshilfe leistet. Die märchenhaften Ziele für die Zukunft: Gemeinsam wollen die EU-Mitgliedsländer ihre ODA-Quote [...] bis 2010 auf 0,56% und dann bis 2015 auf 0,7% erhöhen. In absoluten Zahlen würde dies eine Verdoppelung der EU-Entwicklungshilfe (Union und Mitgliedsländer zusammengenommen) von heute 40 auf 80 Mrd. US-Dollar im Jahre 2010 bedeuten.

Freude darüber und über die guten Zahlen der OECD für die deutsche Entwicklungspolitik, wie sie unsere Entwicklungshilfeministerin zum Ausdruck bringt, ist mehr als unangebracht. Der eigentliche Skandal, klein und verdrängt, ist nämlich der: Selbst mit ihren derzeit „zusätzlichen“ Millionen kommen die Geberländer nicht einmal annähernd den Zusagen nach, die sie schon 1970 vereinbart haben. Schon damals hieß es großmütig, man werde spätestens bis 1980 das 0,7%-Ziel [...] erreichen.

Ich will gar nicht bestreiten, wie wichtig es ist, öffentlichen Druck zum Thema aufzubauen: Einer repräsentativen Oxfam-Meinungsumfrage aus dem März 2007 zufolge halten es 71 Prozent der Deutschen für wichtig, dass Deutschland sein Versprechen hält und bis zum Jahr 2015 die deutsche Entwicklungshilfe verdoppelt. Damit erreicht man zumindest eine gewisse Sensibilisierung der Politik. Wie weit aber reicht dieses Bewusstsein, wenn - und das ist zweite, ebenfalls Beeindruckende an dieser Diskussion - man, wir alle, sowohl Öffentlichkeit als auch Politik als auch Medien, regelmäßig die Maßstäbe verdrängen, an denen man, wir, die Politik, Maß anlegen wollten?


Trauriger Nachtrag, 29. April (via): Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) [hat] den Geberländern ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Demnach sanken die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit 2007 um 8,4 Prozent.

Translating Orientalism

Wen's interessiert, woran ich gerade sitze, der lese die folgenden Zeilen (auch wenn ich in die Umwandlung des Word-Formats nicht allzu viel Zeit investiert habe ...)


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The publication of Edward Said’s Orientalism is this year celebrating its 30th anniversary. [1] Yet the work’s continuing currency in academic scholarship points towards the fact that its theses and insights are far from being invalidated. Surely, Said’s work has its very own limitations and constraints, and despite the varied criticism that has been formulated over the past decades, its impact can hardly be overestimated. Following the breakdown of European imperialism after World War II, a flood of criticism was launched by a number of intellectual movements originating in the former or soon-to-be independent colonies. Together with other works – Frantz Fanon’s The Wretched of the Earth, Kwame Nkrumah’s Neocolonialism. The Last Stage of Imperialism and Ashis Nandy’s Intimate Enemy: Loss and Recovery of Self under Colonialism, to name just two immensely influential publications [2] – Said’s laying bare of the dominance of Orientalist thought in imperialist discourse concentrated previous efforts to provincialise the eurocentrism of the allegedly neutral and objective European sciences and their influence not only on cultural developments. One of the successful results was the establishment of an academic field called “Postcolonial Studies”, which owes much of its input to the critical reception of Said’s work. [3] His Orientalism has become, to sum up, a landmark not only of philological, but also of political scholarship.

The attempt, then, to adopt Said’s frame of analysis for a study of early modern perceptions of “the Orient” may at first glance appear naïve. Very obviously, the work traces discourses which gain influence only in the 18th and 19th century; Said’s Orientalism is closely bound up with the rise of European, and i.e. foremost: French and British, expansionism, colonialism and its subsequent transformation into imperialism. Richmond Barbour justly intervenes that “[t]o project his [i.e. Said’s] findings backward, to read precolonial ethnography as if its rhetoric bespoke European dominance of the world, or its defensive tropes necessarily foretold aggressive expansion, is anachronistic. [… P]re-Enlightenment “orientalisms” expressed material, political and discursive relations profoundly different from those Said finds typical of modernity.“ [4] Yet Barbour’s criticism only extends this far. Admittedly: Said does argue that “[t]he Orient was Orientalized not only because it was discovered to be ‘Oriental’ in all those ways considered commonplace by an average nineteenth-century European, but also because it could be – that is, submitted to being – made Oriental.” [5] The interconnection between cultural and colonial or imperial dominance clearly cannot be dismissed and needs no further amplification. And yet, despite the principally different constellations of power in the early modern period, I not only propose, but moreover insist on the necessity of making use of the core of Said’s work and translating it into this earlier context.

Discourse theory, which Orientalism heavily relies on methodologically, at once allows for and forbids this translation. Foucault conceives of discourses as specifically embedded in local time and place, best identified through their so-called énoncés, the central statements around which every discourse revolves. These central statements are repeated in a process which Said terms the “restorative citation of antecedent authority” [6]; but yet they simultaneously and necessarily remain fluid and undergo a limited variation: The ambiguities of language as well as the individual background of experience with which each participant invests individual meaning into the discourse’s énoncés – both of these influences contribute to shifts in meaning and thus, essentially, reflect back on the status and currency of every discourse. In short, this process of variation despite (or through) citation, then, implies that a discourse does not have clearly defined borders, but is constantly overlapped, questioned and/or reinforced by related discourses. Thus, not only synchronic, but also diachronic origins of every discursive statement, of every énoncé, are difficult, if not impossible to locate.
With regard to the attempted translation of Orientalism into early modern contexts, Said vaguely states that “[…] the Orient is an idea that has a history and a tradition of thought, imagery, and vocabulary that have given it reality and presence in and for the West.” [7]

The idea at present, however, is not to historicise Orientalism, not to identify and trace the genesis of its academic discourse during the early modern period and consequently expand and enforce the book’s argument. Rather, the underlying aim is to prove the perhaps obvious fact that Orientalism is much more persistent than the analysis of Orientalism in the context of the modern arts and the modern academy may suggest. Said’s above admission has already indicated this, and in the book’s introduction in particular the author continues to raise awareness for the intricate complexities extending beyond the focus of his work, pointing out the roots from which modern branches of thought and writing have been able to spread out. In its profoundest sense, “Orientalism is a style of thought based upon an ontological and epistemological distinction made between ‘the Orient’ and (most of the time) ‘the Occident’ [… It acts as a] starting point for elaborate theories, epics, novels, social descriptions, and political accounts concerning the Orient, its people, customs, “mind”, destiny and so on.“ [8]

It is this generalised conception of Orientalism that I wish to elaborate on and take as the basis for its translation into early modern contexts. It opens up a trajectory which allows us to isolate and abstract a number of aspects identifying Orientalist thought in 18th and 19th century discourses from their contextual relationships of power and knowledge: “Every writer on the Orient assumes some Oriental precedent”, writes Said, “some previous knowledge of the Orient, to which he refers and on which he relies. [… E]ach work on the Orient affiliates itself with other works, with audiences, with institutions, with the Orient itself.” [9] Consequently, it becomes possible to read 17th century perceptions and representations of “the Orient” parallel to their later transformations as reflecting “[…] a distribution of geographical awareness into aesthetic, scholarly, economic, sociological, historical, and philological texts; [… they are] an elaboration not only of a basic geographical distinction […] but also of a whole series of “interests” which [… they] not only create[…] but also maintain[…].” [10]
It is this “distribution of geopolitical awareness” into a network of texts that can act as a starting point for analysis. The subsequent task, then, is to dissect its inherent discursive “interests”. Here, Barbour emphasises, “[i]t is crucial […] to distinguish early modern Europe’s strategic and economic relations with, from its domestic constructions of, Asia.” [11] This implies that, to a limited extent at least, it is necessary to keep in mind the “flexible positional superiority” which Said presents as a characteristic of modern Orientalism. Early 17th century visitors to the Orient, be they merchants, diplomats or travellers, will have been very well aware of the political, military and economic imbalance between any evolving European regional power and the Ottoman Empire, and thus are almost sure to have felt far from having the “relative upper hand” [12] in many encounters. On the contrary: Much stood to be gained by establishing economic ties with the Ottoman Empire. The outlook on possible advantages reflected back on the intricate dynamics at work between the European powers themselves. As we straightforwardly learn from a “Memorandum on the Turkey trade”: Not only is it “[…] the Kinge of Spayne (who cane never be longe without warres with the Turke)”, but also “the frenche Kinge” as well as the Venetian traders who had to be considered adversaries to English-Turkish trade. The two latter powers, having “[…] their ambassadours at Constantinople will seeke by some indirect practise to discountenaunce suche of her Majestes subiectes as shall trade thither.” [13]

Or so it seems. Richard Knolles’ Generall Historie of the Turkes takes such an account to extremes. Reflecting, as the quoted Walsingham-Memorandum does, on the current power constellations, he acknowledges “[…] that at this present if you consider the beginning, progesse, and perpetuall felicitie of this the Ottoman Empire, there is in this world nothing more admirable or strange; if the greatnesse and lustre thereof, nothing more magnificent or glorious; if the power and the strength thereof, nothing more dreadfull or dangerous: which wondering at nothing but at the beautie of it selfe, and drunke with the pleasant wine of perpetuall felicitie, holdeth the rest of the world in scorne, thundering out nothing but still blood and warre, with a full persuasion in time to rule over all, presining [sic] unto it selfe no other limits that the uttermost bounds of the earth, from the rising Sunne unto the going downe of the same.“ [14]
Having conceded to the Ottomans their supremacy with all its apparent ambiguities, Knolles at the same time feels called to relativise his stark dramatisation by openly claiming for the Christian world a superiority understood in terms of religion, morality and tradition – and which crystallises above all in the profoundness of its world knowledge: The Ottoman past, he writes, “[…] is not well knowne unto themselues, or agreed vpon euen among the best writers of their histories.” Without question, the credibility of their accounts is strictly limited and proves of “[n]o great reason in my deeming: […] giue the authors thereof leaue therewith to please themselues, as well as some others, which […] borrow, or rather force their beginning […] without any probabilitie at al; and that with such an earnestnesse, as they could not elsewhere haue found any so honourable ancestors.“ [15]

The Generall Historie’s “lack” of congruency between the material and political imbalances on the one hand and the cultural perception underlying its perspective on the other is, however, not necessarily to be interpreted as the provoking distortion of a simplified representation. Rather, the opposite is the case – Said’s conception of Orientalism very much allows for this “misrepresentation”. To refer back to M.G. Aune’s words, Knolles’ lack of truthful reflection marks one of a “[…] range of rhetorical strategies to manage the instability and asymmetry of these encounters […]” [16], and as such can be inserted “[…] above all, [into] a discourse that is by no means in direct, corresponding relationship with political power in the raw, but rather is produced and exists in an uneven exchange […]” between powers political, intellectual, cultural and moral. [17] Consequently, there cannot be any degree of “misrepresentation”: What any study of Orientalism lays bare is its “internal consistency […] despite or beyond any correspondence, or lack thereof, with a ‘real’ Orient.” [18] In very much the same way as later writings on colonial subjects, Shakespeare’s Cleopatra and Marlowe’s Tamburlaine too are inflected representations, filtered through specific lenses of perception, and cannot be taken as neutral mirror images of a supposedly transcendental reality. [19]

How obviously these Orientalist inflections apply already to Early Modern English thought needs to stressed all the more since “[e]arly Stuart England possessed [… no] working knowledge of […] Asia.” [20] Again, the Generall Historie provides ample proof of this: Knolles derives his authority on the Ottoman Empire not from personal experience, but solely from his study of Greek, Latin, French, German and Italian sources. Nonetheless, this lack of “working knowledge” Barbour proved no constraint to the book’s success [21]: For the very reason that, by relying on its European sources, it was integrated into the process of “restorative citation of antecedent authority” [22], it conformed with and strengthened the then predominant discourse on the Orient.

The public theatres and their performances likewise amplified this Manichean discourse. If their stages allowed audiences to “[…] ponder the possibilities of alternate cultural orders […]” [23], these alternate orders were certainly also “[…] entertainments [which] thrive[d] on polar opposition […]” [24]: “Ethnocentrism galvanized polarities congenial to the theatre […]. Elizabethan drama plots – with opposing parties set off by two stage doors – gather into dualistic patterns. Economies of time […] likewise simplify obscure or overdetermined processes. On the London stage, Turks were represented as the demonic antagonists of Christians, and converts to Islam were ridiculed and punished […].“ [25]

Public reception of such performances was, of course, by no means passive, and proved on the contrary to be a process of productive consumption. As the “[…] experience of drama is rarely confined to the moments and the places of performance […]”, “[…] audience members become agents in the shaping and realizing of meaning […] and ultimately […] of public discourse.” [26] The theatre’s polarising Orientalism, in other words, did not remain an on stage, artistic containment: far from this, it effectively disseminated across early modern English culture, where it took on varying forms and degrees.

Returning to Barbour’s initial reservations concerning the possibility of translating Orientalism, then, the current argumentation appears to have reversed the question: With the parallels now laid bare, in what – if anything at all – does this projected early modern Orientalism differ from its later form as described by Said? In which ways are the “[…] discursive relations [so] profoundly different from those Said finds typical of modernity […]”? [27] Essentially, there is perhaps one characteristic that reveals these Orientalisms fundamental divergence: The very Orientalist modes of knowledge production which were in their modern forms to provoke the resistance of colonised people expressed in their early modern incarnations perhaps themselves an act of resistance (of “flexible positional superiority” in Said’s terms) producing and reinforcing binary world images in order to compensate actual power relations in the face of an encompassing Ottoman threat.
It is this constructed, ontological and epistemological Orient, this discursive reflection of geopolitical awareness, that I propose to consider as an underlying analytical grid for the ensuing translation of Orientalism. […]



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NOTES

1 Edward Said, Orientalism. London: Routledge, 1978.
2 Frantz Fanon, The Wretched of the Earth. New York: Grove Press, 1963; Kwame Nkrumah, Neo-colonialism. The Last Stage of Imperialism. London: Nelson, 1965; Ashis Nandy, Intimate Enemy: Loss and Recovery of Self under Colonialism. Dehli and Oxford: University Press, 1983.
3 For an overview of the various traditions leading to the formation of “postcolonial studies”, see above all Robert C. Young, Postcolonialism: An Historical Introduction. Oxford: Blackwell, 2001.
4 Richmond Barbour, Before Orientalism, p. 3. M. G. Aune adds: “The Ottoman and Mogul Empires, rather than European states, were economic and military centers of power in the early modern period. Encounters and exchanges between these cultures and Europe were often asymmetrical, and characterized by anxiety and fear on the part of the Europeans and indifference on the part of the Ottomans or Moguls. Imperial projects in the New World were clearly established in the sixteenth century, while such projects in Asia and Africa, comparatively, developed more slowly. European interest in these areas tended to focus on trade and commercial competition rather than colonization. This is not to say that the Europeans did not portray themselves as culturally or morally superior; the writing of travelers, diplomats, merchants, and others all deployed a range of rhetorical strategies to manage the instability and asymmetry of these encounters.” M. G. Aune, “Early Modern European Travel Writing After Orientalism“. Review article, in: The Journal for Early Modern Cultural Studies, vol. 5 (2005), no. 2, pp. 120-138, here: p. 121.
5 Said, p. 5-6, emphasis original.
6 Said, p. 176.
7 Said, p. 5.
8 Said, p. 2-3.
9 Said, p. 20. Emphasis original.
10 Said, p.12. Emphasis original.
11 Barbour, p. 5.
12 Said, p. 7.
13 Sir Francis Walsingham (?), “Memorandum on the Turkey trade”, 1578 (?), in: Susan A. Skilliter, William Harborne and the Trade with Turkey 1578-1582. A Documentary Study of the First Anglo-Ottoman Relations. Oxford: University Press, 1977, pp. 28-33, here: p. 28-29.
14 Richard Knolles, The Generall Historie of the Turkes. London, 1603, unpaged preface (=“The Author’s Induction on to the Christian Reader unto the Historie of the Turks following).
15 Knolles, op. cit., p. 2.
16 M. G. Aune, op. cit., p. 121.
17 Said, p. 12.
18 Said, p. 5, emphasis added.
19 Said, p. 21.
20 This seems to have remained so even despite the availability of contemporary accounts by merchants and explorers such as Richard Hakluyt. Barbour, p. 6.
21 “With six editions in the seventeenth century and an abridgement in 1701, the book was widely read for many generations.” Barbour, p. 16-17.
22 Said, p. 176.
23 Andrew Gurr, Playgoing in Shakespeare's London. Cambridge: University Press, 1987, p. 85.
24 Barbour, p. 66.
25 Barbour, p. 5.
26 Gurr, op. cit., p. 5; p. 2.
27 Barbour, p. 3.

Europa & ihre Hausaufgaben

Dank irgendeiner Mail aus irgendeinem Verteiler bin ich seit langer Zeit endlich mal wieder auf den Seiten der Heinrich-Böll-Stiftung gelandet. Für die ein oder andere ruhige Stunde findet sich dort immer ein bisschen Basislektüre: z.B. über die Widersprüche unserer eigenen Grundordnung, wenn es um Migrantenrechte geht. Oder wenn man sich danach sehnt, das eigene, "symbolische" Selbstverständnis am Konkreten der Politik und des Rechts zu hinterfragen. Ohne Zweifel, liebes Europa: Wir haben da noch einiges an Menschlichkeit nachzuholen.

Zitiert: Anton Tschechow

"Eine Krise kann jeder Idiot haben. Was uns zu schaffen macht, ist der Alltag".

Randbemerkungen: Zur re:publica 08

Ich merke: ich bin recht flatterhaft in meinem Rückblick auf die re:publica 08. Der Versuch, die besuchten Vorträge und Workshops in geordneten Gedanken zusammenfassen und meinen Gesamteindruck „angemessen“ kritisch festzuhalten, will mir bisher noch nicht ganz gelingen. Zum einen bin ich zurückhaltend: Ich kenne die Blog(ger)szene so gut wie gar nicht. Mir fehlt schlicht und ergreifend die Erfahrung, um ein richtiges, d.h. gerechtes Urteil über diese Konferenz formulieren zu können. Als ein Jemand, der sich dort ohne weiterreichende Absicht, soll heißen: aus tiefem Interesse an einigen der angekündigten Vorträge bewegt hat, habe ich sicherlich nur an der Oberfläche gekratzt; vieles, vielleicht sogar das Eigentliche der re:publica, wird mir entgangen sein. Andererseits will ich meine teilweise Enttäuschung nicht leugnen: 1) Ihrem Titel nach vielversprechend klingende Workshops wie "Elektronisch gestützte Beteiligung (E-Partizipation) - symbolische Politik oder echte Mitbestimmung?" boten wenig Arbeitsbasis: Sie waren keine Bestandsaufnahme, sondern Projektpräsentationen, bei denen mich die Professionalität der Referenten erschreckte. Man zeigte und warb für das, was man selbst geleistet hat - und fragte nur andeutungsweise nach dem, was insgesamt zu leisten bleibt, überhaupt zu leisten wäre. Daher: Professionelle Netzwerke und Kontaktknüpferei waren mir in der Vergangenheit schon immer suspekt. Man "kennt sich" und tauscht seine Daten aus, und hört dann einfach ganz unverbindlich voneinander. Das erinnert mich zu sehr an Xing, wo jeder mit jedem gleich "befreundet" ist und mit soundsovielen indirekten Kontakten prahlt. Aus meiner Sicht ist das reine "Assetsteigerung", wie man im Jargon der Netzaffinen zu sagen pflegt.

2) In den Vorträgen fehlte mir in der Regel nicht nur der Bezug zur „kritischen Masse“, der die drei Tage gewidmet sein sollten; vielen Diskussionen und Workshops mangelte es an grundlegender medientheoretischer oder –philosophischer Verankerung. Bereits Viktor Mayer-Schönbergers Auftakt schien das vorwegzunehmen und ist (leider!) auch den bisherigen Rückmeldungen, die über den Blog-Spiegel des re:publica-Wiki bereits verlinkt sind, entgangen: Der von Mayer-Schönberger beworbene Mehrwert des Vergessens ist selbst so lange dekontextualisiert, wenn er nicht in den Zusammenhang größerer, vielleicht paralleler? – gerade das wäre ja zu fragen! – Umbrüche wie den der „digitalen Demenz“ gerückt wird. Denn der Ruf nach einem Verfallsdatum für Informationen lässt sich durchaus historisieren. Ist das Wissen einmal festgehalten, so schweift dieses Wissen auch überall gleichermaßen unter denen umher, die es verstehen, und unter denen, für die es nicht gehört, und versteht nicht, wem es verfügbar sein soll und wem nicht. Das ist keine Vorwegnahme, die einer (hoch)modernen Datenrevolution gilt: es sind die (leicht abgeänderten) Worte Platons (der Originalwortlaut im "Phaidros", 274 d-e; S. 56).

Die Interpretationsunsicherheit aber verrät, wie sehr wir Zeugen und Betroffene einer – wie auch immer genauer zu bestimmenden, aber dennoch tiefgreifenden – Wissensrevolution sind. Anstatt vorschnelle Forderungen aufzustellen, sollte unsere Energie den Einschätzungen, den Analysen, der nur schwer möglichen Trennung des Gefühlten vom Erlebten dieser Umwälzungen gelten. Wie es in der Diskussion zur Konkurrenz zwischen Journalisten und Bloggern hieß: Man wünschte sich, die Blogger würden gelegentlich den ein oder anderen Augenblick länger reflektieren, bevor sie sich in Worte fassen.

Neuen Horizonte könnte man – vielleicht? – unter der Rede von einer „antiquarisierenden (Hoch-)Moderne“ verschlagworten: Wenn wir tatsächlich in Gefahr laufen, das Vergessen zugunsten der Bewahrung gläserner Erinnerungen zu vernachlässigen, sorgt nicht nur Platon, sondern auch Nietzsche für unterhaltsame Lektüre. Letzterer dachte mit Mayer-Schöneberger in dieselbe Richtung, als er in seinem Aufsatz "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben" dazu aufforderte: Denkt [...] das äußerste Beispiel, einen Menschen, der die Kraft zu vergessen gar nicht besäße, der verurteilt wäre, überall ein Werden zu sehen: ein solcher glaubt nicht mehr an sein eigenes Sein, glaubt nicht mehr an sich, sieht alles in bewegte Punkte auseinanderfließen und verliert sich in diesem Strom des Werdens [...] (S. 99). Nietzsche schlussfolgert: Der antiquarische Sinn eines Menschen [...] hat immer ein höchst beschränktes Gesichtsfeld; das allermeiste nimmt er gar nicht wahr, und das Wenige, was er sieht, sieht er viel zu nahe und isoliert; er kann es nicht messen und nimmt deshalb alles als gleich wichtig und deshalb jedes einzelne als zu wichtig. Dann gibt es für die Dinge der Vergangenheit keine Wertverschiedenheiten und Proportionen, die den Dingen untereinander wahrhaft gerecht würden; sondern immer nur Maße und Proportionen der Dinge zu dem antiquarisch rückwärts blickenden einzelnen [...]. Hier ist immer eine Gefahr sehr in der Nähe: endlich wird einmal alles Alte und Vergangne, das überhaupt noch in den Gesichtskreis tritt, einfach als gleich ehrwürdig hingenommen [...] (S. 116-117).

Und die Prognose? Nur Lumpen und bunte Flicken: wir sind dann keine Menschen [...] sondern nur eingefleischte Kompendien und gleichsam konkrete Abstrakta [...] historische Bildungsgebilde, ganz und gar Bildung, Bild, Form ohne nachweisbaren Inhalt, leider nur schlechte Form, und überdies Uniform (S. 131, 132).

Vorläufig bleibt daher vielleicht festzuhalten: Die Untersuchung des Vergessens zeigt, dass das individuelle Gedächtnis im Angesicht einer beschleunigten technischen Perfektionierung (das elektronische Archiv als Gedächtnis) einerseits seine Orientierungsfunktion, aber andererseits auch seine Ohnmachten und Unbeherrschbarkeiten nicht verliert (Stefan Hesper, „Gedächtnis“, in: Metzler-Lexikon Kultur der Gegenwart: Themen und Theorien, Formen und Institutionen seit 1945. Hrsg. Von Ralf Schnell. Stuttgart, Weimar: Metzler, 2000, S. 171-173, hier: S. 172).





[Seitenangaben gelten für: F. Nietzsche, "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben", in: Unzeitgemäße Betrachtungen. Frankfurt (Main): Insel, 2000]