Anstelle einer Abmeldung ...

... eine kurze Bemerkung zu meiner derzeitigen Verschwiegenheit: Am 10. eine mündliche Prüfung, am 15. Abgabe einer Hausarbeit, für die mir bereits Aufschub gewährt worden ist. Viel zu tun also; nichtsdestotrotz bleibt immer wieder Notizraum für Irritationen. Die erzwungene Ablenkung tut gut, merke ich, aber dennoch - zusammengebastelt dürften sie also am Mitte des Monats zu lesen sein.

Aufklärung, die: geboren ? / getauft 1783 / gestorben?

Der Austausch mit Christoph spinnt sich fort. Meine Antwort(en) auf Christophs Antwort(en):

- "Broder globalisierungsskeptisch? Ein Mitglied von Attac? Das wäre mir neu. Traditionsorientierte Haltung? Auf jeden Fall! Und zwar in der Tradition der Aufklärung und der Freiheit."

Sicherlich ist er in meinen Augen globalisierungsskeptisch. Seine Kritik, wie auch Giordanos, ist offen eurozentrisch. Globalisierung findet für sie statt - allerdings nicht (mehr) in Europa. Wir sind die bereits Zivilisierten, Aufgeklärten, Demokratisierten. Die Menschenzuströme, die sie beklagen, sind für sie ein unwillkommener Kollateraleffekt, dessen Bewältigung (inzwischen gar: Beseitigung) sie schnellstmöglichst umgesetzt sehen möchten. Was mich besonders wütend macht, ist die Geschichtsverdrossenheit der beiden "in der Tradition der Aufklärung" stehenden Herren: Sobald wir einer Gesellschaftsgruppe fehlende Fähigkeiten und mangelnden Willen unterstellen, sind wir bereits erneut einem veralteten Denken verfallen, das Kolonialismus und Imperialismus begleitet hat. Huntingtons Clash of Cililizations ist nichts anderes als eine modernisierte Aufarbeitung der "mission civilisatrice", eine Neuformulierung der schon vor zweihundert Jahren empfundenen Last des verantwortungsvollen weißen Mannes ("the white man's burden"). Du berufst Dich auf die europäische Geschichte und schreibst: "Ich meine, dass extremistisch eingestellte Minderheiten ein größeres Problem sind als eine politisch wenig engagierte Mehrheit." Verständlich, aber meines Erachtens nach verkürzt gedacht. Es dürfte Dir nicht entgangen sein: Wenn eine Mehrheit ein Problem mit einer Minderheit hat, dann liegt das selten an der Minderheit. Und ich bezweifele sehr stark, dass der Generalvorwurf an Muslime, sie seien integrationsunfähig und -unwillig, aus diesem Muster herausfällt.

- Natürlich hast Du recht: Ich messe diese Demokratie an Idealen. Diese "dialektische Demokratie" hat es nicht gegeben, und auch heute glänzt sie durch ihr gänzliches Fehlen. Deinen Mangel an Vision aber teile ich nicht. Idealismus ist etwas, das die Europäer mit dem Ende der Französischen Revolution aufgegeben haben. Wer seither mehr fordert, ist kindlicher Idealist und radikal (=Anarchist). Warum? Meine Vermutung: Demokratie und Kapitalismus sind unvereinbar. Vielleicht gelingt es mir demnächst, mir meine Gedanken genauer auszuformulieren - wenn Du magst.

- Zur Einbürgerungsoption meiner Mutter: Natürlich besteht sie. Macht sie den Unterschied? Das eine Dokument für ein anderes eintauschen? Auch hier frage ich wieder grundsätzlich: Macht sie ein Pass zur Deutschen? Und, was nicht das gleiche ist: Macht sie ein Pass zur Wahlberechtigten? Macht mich mein deutscher Pass zum Deutschen, wo ich mich doch auch zwei weitere Staatsbürgerschaften berufen kann?

- Ich möchte nochmal den Vorwurf aufgreifen, Integration sei von der Mehrheit gefordert, aber nicht entgegenkommend unterstützt worden. Über Deinen berechtigten Hinweis auf die Arbeit einer gesellschaftsengagierten Minderheit brauchen wir nicht diskutieren; hier sind wir uns mehr als einig. Ich will vielmehr das Denken einer - zugeben: von meiner Seite idealtypisierten - ausschließlich medial gelenkten Mehrheit hinterfragen. Mich interessieren einzelne Worte, die oftmals mehr vermitteln als die vielen guten, ausführlichen Hintergrundberichte im Spätprogramm der Öffentlich-Rechtlichen. Nehmen wir als Beispiel die Bezeichnung "Gastarbeiter". Es wandert ein, arbeitet in Deutschland, weil es an Arbeitskräften mangelt, bleibt aber erklärtermaßen "Gast". Zu Besuch. Sein Aufenthalt ist vorläufig; seine Rückkehr, wird vermutet, ist absehbar. Für seine mehrheitlich gering qualifizierte Tätigkeit [1] werden ihm kaum Deutschkenntnisse abverlangt, und keine Rechte angeboten - Gesellschaftliche Mitsprache? Keinesfalls.

Soweit für mich noch nachvollziehbar. Was aber wird aus seinen Kindern, seiner Familie, wenn sie nachzieht und der Nachwuchs hier sozialisiert wird? Wir können leicht auf die Anderen schimpfen. Meine Fragen richten sich aber zuallererst an "uns", die Deutschen, die demokratischen Europäer: Haben wir alles demokratisch vorstellbare getan? (Wie) Hat das Arbeitsumfeld dazu beigetragen, ihn zu integrieren? Und im Alltag? Wie reagieren die Postbeamten auf den "anderen"? Wie der gemütliche Beamte beim Finanzamt? Wie, also, reagiert der Einzelne auf den Einzelnen?

Teil zwei des postmodernen Wortspiels: Ein "Gastarbeiter" bleibt "Gastarbeiter". Lebt er seit dreißig Jahren in Deutschland, sehen wir ihn als "ehemaligen Gastarbeiter" oder "Migranten der ersten Generation" an. Unabhängig davon, ob er sich hier zu Hause fühlt oder nicht - die Mehrheit verrät mit solchen Bezeichnungen, dass sie ihm kein zu Hause gewähren möchte.

- Ob ich damit erneut das Thema verfehle? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir hören nach wie vor ausschließlich Politiker- und keine "Bürgerschelte" (nerones grandioses Wort): Giordano fordert heute ein mutiges, offenes, ehrliches, islamisierungstoppendes Bürgerengagement, weil er den Volksvertretern Versagen vorwirft. Es geht aber nicht so weit, dieses in der Vergangenheit mangelnde Bürgerengagement zu kritisieren.

Was mich dabei verwundert, ist die Tatsache, dass Du ihm offenbar zustimmst: Der Bürger trägt nur alle vier Jahre Verantwortung, und zwar bis ins Wahllokal - und keinen Schritt weiter.

- Welches Hindernis spielt für Dich der Sozialstaat? Meinst Du etwa, er sei zu großzügig? Darüber können wir diskutieren; mein Gedanke sollte allerdings (einmal mehr) hervorheben, dass es immer wieder der Staat und unsere Vertreter sind, die eingespannt werden, sobald es um die Koordinierung von Integrationsplänen geht. Die Mehrheitsgesellschaft, d.h. die Bürger, fühlen sich weniger, sogar selten angesprochen. Sie wollen persönlich gesellschaftliche Teilhabe, wenn es ihnen passt, weigern sich aber, den Pflichtteil ihrer Rechte wahrzunehmen - der wird delegiert. Meine konsequente Frage: Haben wir auf Bundesebene, auf deutscher Ebene also, nur alle vier Jahre Öffentlichkeit, nur alle vier Jahre einen Tag lang Demokratie? Deine Antwort lautet ja. Meine Reaktion darauf lautet: Dann brauchen wir von Demokratie nicht mehr reden.

- Und wie verteidigt man Demokratie in der Tradition der Aufklärung, wie Du schreibst? Der Westen ist häßlich, nicht aufgeklärt. Schon grundsätzlich gesehen ist man meines Erachtens nach nicht aufgeklärt. Man muss es immer wieder werden. Die Aufklärung ist kein Geisteszustand, mit dem man als Menschenkind des 21. Jahrhunderts geboren wird. Aufklärung ist eine europäische Denkart, eine Rationalität, eine Weltdeutung, der sich das Individuum, und allein das Individuum, annehmen kann. Keine Gesellschaft ist aus sich heraus aufgeklärt. Es gibt einzelne aufgeklärte Denker, aber keine aufgeklärte Gesellschaft. Wie Kant es in seiner Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? formuliert:

"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung."
Rechtfertigt das unseren Verstandesgebrauch alle vier Jahre? Ausdrücklich will ich daher auch den nachfolgenden, zweiten Absatz zitieren:
"Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u.s.w.: so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen."
Dies alles auf den Punkt gebracht, bedeutet, wie wir von Lennart Mari lernen: "Der Staat ersteht nur einmal, die Freiheit jedoch musst Du jeden Tag erkämpfen."

Deswegen die Pflicht zur Verantwortung des Einzelnen, deswegen der fortwährende Dialog. Natürlich kann ich in der Folge schwer einfordern, dass Du Dich mit jedem muslimischen Busfahrer und jedem muslimischen Gelehrten austauschst. Was ich Dir aber abverlangen dürfte, ist Deine eigene, persönliche, mündige Auseinandersetzung mit dem, was zur Verhandlung aussteht - in diesem Falle also die Frage, ob in Deutschland lebende Menschen muslimischen Hintergrunds integrationsfähig und -willig sind, oder ob ihnen ihre vermeintliche Andersartigkeit lediglich unterstellt wird - von Angesicht zu Angesicht. Du als ein kritischer Mitdenker, der weiß, das vieles von dem, was in den Massenmedien kursiert, auf verkürzten Darstellungen aufbaut, solltest Dich in dieser Debatte selbst von der Tiefe und Richtigkeit der Für- und Gegenargumente überzeugen wollen. Gerade weil Du um die Qualität der Berichterstattung weißt. Gerade weil Du um die deutsche Geschichte weißt. Denn das "letzte Mal" haben die Deutschen ihre Verantwortung ebenfalls delegieren wollen; im Nachhinein will keiner Bescheid gewusst haben über Ausschwitz, Sachsenhausen und die schätzungsweise sechs Millionen Menschen, die - ebenfalls aufgrund Ihrer kulturellen Herkunft und Religion - als nicht integrationsfähig und -willig galten. Aufklärung also als Denken im Andenken an die Vergangenheit. Die Prozesshaftigkeit dieses Denkens unterstreichen Adorno und Horkheimer im Titel ihrer "Dialektik der Aufklärung". Aufgeklärt sein zu wollen, so be-deute ich es, heißt: sich niemals ausruhen zu dürfen auf den Einsichten und Erkenntnissen von Gestern - denn es bleibt die Möglichkeit, dass die Aufklärer von heute Kants potentielle "Seelsorger", sprich: Vormunde von Morgen sind. Für das enge Verwandtschaftsverhältnis on Aufklärung und Demokratie folgere ich daraus: Auch Demokratie ist situativ, nicht ererbt. Sie muss immer wieder, tagtäglich, geboren, erneuert, gefestigt und verteidigt werden. Als Möglichkeit ist sie sicherlich ererbt, das will ich gelten lassen; ein Freiraum zur Demokratie ist uns gegeben. Aber er muss gefüllt sein - mit unseren Stimmen. Mit unserem Dialog. Demokratie ist kein System, sie ist ein Ort: Ein "dritter Ort" zwischen Menschen.

"fordern, fordern, fordern, ohne jeden Sinn für eine Bringschuld." Broder, Giordano und eine Frage der Integration

Lieber Christoph,

meine Antwort auf Deine Kritik hat einige Tage auf sich warten lassen; ich wollte bedächtig, ausführlich und möglichst weitsichtig antworten. Dein Einwand steht außer Frage: Es ist wichtig, unermüdlich immer wieder die Mahnung auszusprechen, dass Islam und Islamismus scharf voneinander zu unterscheiden sind. Genau diese Trennung, glaube ich, droht aber in den öffentlichen Wortmeldungen Broders und Giordanos - vor allem in der "ungehaltenen" Rede Giordanos - zu verwischen.

Damit will ich keine pauschale Aburteilung ankündigen. Einen vielleicht gewagten Schritt will ich zu Anfang allerdings tun, obwohl ich nicht glaube, dass ich mich damit ausliefere: Ich setze Broder und Giordano in ein Boot. Differenzen der beiden in anderen Streitfragen blende ich aus und berufe mich dabei auf Deine eigenen Worte:

"Henryk Broder wird nicht müde, zwischen Islamismus und Islam zu unterscheiden. Zuletzt mit einem sehr lesenswerten Text von Giordano [...]."
Ich gehe davon aus, ich mache zur Voraussetzung, dass Deine Verteidigung Broders nicht ganz so pauschal erfolgt wie meine neuerlichen Kommentare in dieser Diskussion, die hier ihren Ausgang genommen hat. Ferner hat Broder die Veröffentlichung der "ungehaltenen Rede" Giordanos auf seinem eigenen Blog weder kommentiert noch sich ausdrücklich von ihr distanziert. Eher noch darf ich den Hinweis geben, dass Broder Giordanos Rede mit dem Titel "Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem!" in ihrer Brisanz verschärft [1]. Vielleicht kannst Du Dich daher mit mir darauf einlassen, die Meinungsübereinstimmung Broders und Giordanos (in dieser Sache) anzunehmen?

Aber zur Kritik - zu Giordanos Rede und Broders vermuteter Übereinstimmung. Ich habe im Kern nichts gegen ihre "konservative", d.h. "bewahrende", globalisierungsskeptische oder traditionsorientierte Haltung vorzubringen; sie gehört zur gesellschaftlichen Dialektik im Streit um die Zukunft, die eine Gesellschaft einschlägt. Im zentralen Streitpunkt stimme ich ihm im Kern - unter Zurücknahme der Vehemenz, mit der er seine Befürchtungen unterstreicht - zu. Giordano macht deutlich:
"Wir sind hier angetreten, um auf ein schwer wiegendes Problem der deutschen Innen- und Außenpolitik hinzuweisen, das seit Jahrzehnten regierungsübergreifend von den Politikern unter der Decke gehalten, geleugnet, verdrängt oder geschönt worden ist: auf das instabile Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und muslimischer Minderheit, vorwiegend türkischen Ursprungs."
Ob dieses Problem tatsächlich an den "Grundfesten unserer demokratischen Gesellschaft" zehrt, möchte ich bezweifeln, aber weiter beklagt er mit - von meiner Seite wiederum eingeschränktem - Recht:
Vor uns liegt der Scherbenhaufen einer Immigrationspolitik, die sich zäh geweigert hat, Deutschland zu einem Einwanderungsland zu erklären und es mit den entsprechenden Gesetzen und Regularien auszustatten. Über Jahrzehnte hin gab es deutscherseits nichts als Hilflosigkeit, Konfliktscheue und falsche Toleranz, das ganze Arsenal gutmenschlicher „Umarmer“: verinnerlichte Defensive christlicherseits bei den sogenannten „interreligiösen Dialogen“; verheerende Nachsicht der Justiz bei Straftaten, bis in den Versuch, Teile der Scharia in die deutsche Rechtsprechung einzuspeisen; überängstliches Vorgehen und wehrloses Wegschauen von Polizei und Verfassungsschutz auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik; beängstigende Reserve gegenüber islamischen Organisationen, die den Terror unterstützen, wie auch gegenüber Plänen für eine schleichende Umwandlung westlicher Staaten in eine islamische Staatsform.
Das Kreuzfeuer der Kritik ausschließlich auf Politik und Staat zu lenken, verfehlt allerdings die Richtung, die diese Kritik nehmen könnte - und meiner Ansicht nach auch nehmen sollte. Denn Demokratie ist auf lange Frist dialektisch: Es sind unsere Delegierten, Vertreter des Volkes, die im Bundestag Politik machen. Wie Herr Lambing über die herkömmliche Idee des öffentlichen Raums formuliert: Die
"räsonierende Öffentlichkeit betrachtet sich selbst nicht als ausführendes oder beschließendes Organ. Sie ist Kontrolle der Macht, nicht selbst Macht. Sie schränkt die politische Macht, alos [sic] ihre Eliten und Entscheidungsträger durch ihr laut hörbares, mit großer Autorität gesprochenes Urteil ein, ohne sich selbst als Teil der politischen Sphäre zu verstehen."
Warum also, muss sich die Frage anschließen, sind es allein die Politiker, denen Giordano (und so gern auch Broder) die Generationsabschlussrechung vorlegt? Warum ist das Veto, das Urteil der mündigen Bürgerschaft verstummt?

Meine starke Vermutung: ein Veto wurde niemals, noch nie, formuliert. Unsere Gesellschaft ist mehrheitlich politisch enttäuscht, uninteressiert, resigniert. 85% der Bürger, so eine Hochrechnung von TNS Emnid im Auftrag der Zeit (Die ZEIT Nr. 37, S. 4), sind der Überzeugung, dass Bundestagsabgeordnete "nicht so genau oder gar nicht" mit "Leben, Alltag und Sorgen ihrer Wähler" vertraut sind. Die Gegenfrage fällt noch deutlicher aus: 95% der Befragten wissen "eigentlich nicht" oder "nicht so genau", wie sich der Alltag des eigenen Bundestagsabgeordneten gestaltet (ebd., S. 5). Und ein Rückblick auf die vergangenen dreißig Jahre wird sicherlich nichts anderes wiederspiegeln.

Entfremdete Welten. Wie kann Giordano auf Parallelwelten von Deutschen und Ausländern schimpfen, wenn sich doch die Bevölkerungsmehrheit insgesamt politisch verloren fühlt? Kein Wunder also, dass es an gesellschaftlich-demokratischer Eigeninitiative mangelt - wo sich doch so leicht der Staat als Exekutive verstehen lässt. Mitnichten: Die Gesellschaft in ihrem Ganzen ist (auch) Exekutive: Sie ist es, die lebt, die Teilhabe gewährt und gewähren muss. Sie trägt Verantwortung. Demokratie, ich betone es nochmals, bedeutet Dynamik - und das nicht nur zwischen Staat und Gesellschaft, Bürgerschaft oder Volk. Sie bedeutet Dialog. Fortwährenden Dialog. Mit den Bürgern, den Menschen, den Anderen um uns herum.

Ein integrierender Dialog wurde auf politischer Ebene nie geführt, das prangern Giordano et. al. zurecht an. Allerdings blenden sie offenbar nur zu gerne aus, dass er auf gesellschaftlicher Ebene vielen, gar dem Großteil, von vorherein verwehrt geblieben ist. Zuständig waren und sind, so meine pauschalierter Eindruck, der Sozialstaat. Nicht aber die Sozialgesellschaft. Eine persönliche Fußnote dazu: Meine Mutter lebt seit beinahe dreißig Jahren in Deutschland. Sie arbeitet, zahlt ihre Steuern, spricht fließend Deutsch; sie ist gemeinhin eine Person, die man als "integriert" betrachten würde. Dennoch bleibt ihr ihre Stimme verwehrt: Sie hat keine Mitsprache an bundespolitischen Entscheidungen und "genießt" allein kommunalpolitisches Wahlrecht. Ist es vor diesem Hintergrund nicht verständlich, dass sich Menschen zurückziehen? Daher beunruhigt mich seit jeher jener nur schmale Grat, der traditionellen Bewahrungswillen von gesellschaftlicher Stagnation trennen soll. Sein Übertreten passiert leider allzu leicht:
"Was dann nahezu unkontrolliert und in philanthropischer Furcht vor dem Stempel „Ausländerfeindlichkeit“ nachströmte, waren Millionen von Menschen aus einer gänzlich anderen Kultur, die in nichts den völlig berechtigten Eigennutzinteressen des Aufnahmelandes entsprachen, ohne jede Qualifikation waren und nur bedingt integrationsfähig und -willig. Und dazu gewaltige Belastungen der Sozialkassen."


Indem Giordano mit seinen Überspitzungen der Zivilgesellschaft jegliche Verantwortung in der Debatte abspricht, stellt er ihre Pflichten, ihre Versäumnisse, ja: sogar ihre Existenz in grundsätzliche Frage. Stattdessen wird, wie so oft, die Verantwortung delegiert, ganz so als ob man seine bürgerliche Verantwortung in dem Moment abtritt, in dem der eigene Wahlkreisabgeordnete in den Bundestag einzieht: Die Vertreter der Verbände, die Politiker tragen die Schuld am Versagen deutscher Integrationspolitik.

Wir müssen Demokratie leider (immer) noch lernen. Wir hätten ihre Prinzipien schon seit 1949 verinnerlichen sollen, haben sie aber in der Aufschwungszeit des Wirtschaftswunders vernachlässigt - und mit ihr Giordanos "nachströmenden Millionen", die diesen Auschwung mitgetragen haben. Mit dem Fehlen dieses Rückblicks, dem Mangel an Selbstkritik, führen Giordano und oftgenug auch Broder ihr eigenes Versagen als Bürger, und viel gewichtiger noch: als Intellektuelle und öffentliche Meinungsführer, vor. Das strahlt zurück: "[...] Angst [...] machen mir Politiker, die ihre Denkmuster von Toleranz und Antirassismus heute nicht einer Neudefinition unterziehen. Nur wenige ihrer Vertreter sind in der Lage, die intellektuellen Wertmesser ihrer Jugend in Frage zu stellen", zitiert Giordano aus dem Brief einer Frau, der ihn erreicht hat. Diesen Vorwurf muss ich, befürchte ich, auf Giordano und Broder ausweiten: Die Integration einer als gänzlich anders empfundenen Minderheit für "gescheitert" zu erklären, ohne zu erkennen, dass die Mehrheit der Gesellschaft, der man selbst entstammt, einen integrierenden, willkommenheißenden Dialog niemals angeboten hat, bleibt für mich der entscheidende Kritikpunkt. Es ist ihre Schwäche, die fehlende Dialektik zwischen Politik und Öffentlichkeit, die spürbar sein sollte, und es de facto allerdings eher selten ist, diese Schwäche also, die ich mir von Broder, Giordano und Anhängerschaft angesprochen sehen wünsche.

Bisher halten sie beide an einem kulturellen Determinismus fest, aus dessen Perspektive "wir" Deutschen den Anderen immer bloß als Anderen wahrnehmen können und wollen. Integration, ein Miteinander, bleibt ausgeschlossen, denn der Andere ist zu anders, um unsere Lebenswelten mit uns zu teilen: sie enstammen eben "einer gänzlich anderen Kultur" und sind "nur bedingt integrationsfähig und -willig."

Zum Abschluss: Ich verstehe diese Perspektive, will aber gestehen, dass sie mir lächerlich erscheint. Sobald unsere scheinheilige "demokratische Kultur" als Demarkationslinie instrumentalisiert und missbraucht wird für die Einordnung, wer deutschland- oder europatauglich ist und wer nicht, gilt es aus meiner Sicht stets den Blick auf diejenigen zu richten, die diese Richt(er)schnur aufzuspannen sich erlauben. Wie ich schon im Vorfeld Salman Rushdie zitiert habe: "Beware the writer who sets himself or herself up as the voice of a nation."

Es ist und bleibt ein feiner Unterschied, ob man mehr Öffnung von den in Deutschland lebenden Muslimen einfordert, oder wie Herr Giordano den Schlussstrich zieht: "Die Integration ist gescheitert." Die eine Position lässt die Möglichkeit für ein Nachholen des verpassten Dialogs zu, während ich die andere als radikalisierende, reaktionäre Antwort auf die Verzweiflung vor dem bisherigen Misslingen einer geforderten, aber nicht unterstützten Integration lese. Diese feinen Unterschiede aber vermisse ich bei Giordano und Broder schmerzlichst. "Der Islam ist das Problem", schreit Giordano, nicht der Islamismus. Überhaupt sollten, sogar: müssen wir die "muslimische[...] Drohung" thematisieren: denn "statt auf Integration [arbeiten viele Verbände und Parteien] auf kulturelle Identitätsbewahrung der Immigranten und ihrer Nachkommen hin[...]". Die Trennung zwischen Religion und politisiertem Fundamentalismus fällt ihm vermutlich deshalb so schwer, weil die erste den letzteren hervorbringt, der Fundamentalismus also schon im Islam angelegt ist: unter Umständen kann "er bald schon identifiziert werden mit einer Bewegung, die das Zeug zum Totalitarismus des 21. Jahrhunderts in sich trägt."

Wie bereits angemahnt: Wenn Herr Broder und Herr Giordano schon die Rückständigkeit des Islam (oder islamischer Gesellschaften), seine (oder ihre) Verspätung und seine (oder ihre) fehlende Aufklärung in den Mittelpunkt ihrer Kritik stellen, so verzerren sie deutlich das Ziel der "kritischen Methode", die sie für sich in Anspruch zu nehmen glauben: Neben Kritik sollte auch stets Selbstkritik geübt werden. Unsere - die deutschen - Verfehlungen bleiben für beide aber nicht der Erwähnung wert.

Und um kurz die globale Dimension "westlicher" Verfehlungen anzureißen: Die Merkmale von unserer Seite sind anhand gegebener historischer Vergleichsmöglichkeiten alarmierend genug: Fordert die Globalisierung, fordert die Verteidigung unserer Interessen am Hindukusch etwa keinen "Einfluss", kein Zusammenspiel aus "soft" und "hard power"? Wen verwundert die von Giordano zitierte Forderung daher ernstlich: "Umsturz der gottlosen Regierungen des Westens und ihre Ersetzung durch islamische Herrschaft"? [2] Aber das soll ein anderes Kapitel werden.

Was zum Abschluss auszusprechen bleibt? Eine Reihe von Forderungen, die "ohne Sinn für eine Bringschuld" - eine Haltung, die Giordano der (so verstehe ich ihn) muslimischen Mehrheit zum Vorwurf macht - genauso realitätsfern sind wie der von ihm geforderte Islamisierungsstopp: Während wir uns in dieser Debatte auf "unsere" "europäische" Kulturgeschichte berufen, ist es endlich an der Zeit, unsere Lehrer zu achten. [3] Etwas mehr Historismus, etwas mehr Selbstkritik, etwas mehr Empathie, weniger Selbstgerechtigkeit, etwas mehr Pragmatismus. Wir müssen miteinander reden lernen. Sprechen können doch wir bereits. Schimpfende Giordanos und Broders können und müssen sogar dazu beitragen - ohne ihre Arroganz, ihre Geschichtsvergessenheit.


[1] Das Titelzitat ist einem offenen Brief Giordanos an die Ditib vom 15./16. August 2007 entnommen.
[2] Giordano schreibt: "Die Merkmale anhand gegebener historischer Vergleichmöglichkeiten sind alarmierend genug, bis hinein in das erklärte Ziel des politischen Islam: „Umsturz der gottlosen Regierungen des Westens und ihre Ersetzung durch islamische Herrschaft.“"
[3] "Das Schicksal einer Gesellschaft wird dadurch bestimmt, wie sie ihre Lehrer achtet." (Karl Jaspers)

"Liebe Globalisierung!" - von Wolfram Weimer

Wolfram Weimer, Herausgeber und Chefredakteur von Cicero, über die derzeit wilden Tage eines heranwachsenden Teenagers - die Globalisierung. [direkter Link zum Artikel]


Das Donnerwetter an Deinen Weltbörsen mag glimpflich ausgehen wie ein Sommergewitter oder übel wie ein Orkan, der uns in eine Weltwirtschaftskrise stürzt. In jedem Fall ist es symptomatisch für Dein seltsames Verhalten in jüngster Zeit. Lass uns ehrlich sein: Du bist mitten in der Pubertät.
In Deinem Geburtsjahr 1989 haben wir Dich alle freudig gefeiert, in den neunziger Jahren hast Du grenzenlos laufen gelernt und spaziertest wohlstandsmehrend um die Welt. Seit einiger Zeit aber steckst Du in Deiner wilden Jugend. In Deinem Kopf geistern allerlei Allmachtsfantasien wie der Glaube, man könne sich amerikanische Häuser ohne Geld kaufen, das Klima retten oder ganz Asien in einem Katzensprung vom Armenhaus in ein Glitzerkasino verwandeln.
Auch jenseits Deiner Börsen scheint die schrille Zurschaustellung Deiner Potenz wie eine Grundsignatur unserer Zeit. Ob sie nun in Dubai künstliche Inseln ins Meer werfen, in Schanghai mit flimmernden Hochhäusern protzen, in der arabischen Wüste Skihallen bauen, wie Rocker mit Private-Equity-Milliarden durch die globale Unternehmenswelt ziehen oder sich in New York mal eben das Wall Street Journal unter den Nagel reißen – das globale Kerletum triumphiert. Die Grundpose dieser Heldentaten hat immer etwas von einem Michael-Jackson-Tanz-Imitat vor dem heimischen Spiegel.
Zum Gestus Deiner Sturm-und-Drang-Zeit gehört auch die zuweilen rabiate Art, Konflikte zu lösen. Der globale Kult des islamistischen Terrorismus trägt starke Züge pubertärer Massen-Aggression. Aber auch George Bushs Reaktionskriege wirken so durchdacht und erfahrensklug wie eine studentische Spring-Break-Schlägerei in Texas. Das besonnene, das reife, das gutmütige Amerika scheint wie in einem elterlichen Mittagsschlaf, während der wilde Sohn ums Haus jagt.
Aber Du hast mit Deiner Pubertät auch Russland angesteckt. Putins Protzerei, russische Fähnchen auf den Nordpol zu pflanzen, mit Langstreckenbombern herumzudonnern, Nachbarn anzupöbeln und sich mit Muskelbody als Sibirien-Cowboy zu inszenieren, erinnert fatal an den fünfzehnjährigen Vorstadt-Django. Und wenn die dritte, die chinesische Weltmacht ihrem wilden Nationalismus huldigt, dann fühlt man sich auch eher an Fußballfan-Flaumbärte in der Südkurve erinnert denn an den weisen alten Mann aus Peking.
Die politische Kultur der Weltbühne lässt Deinem pubertären Trieb leider ziemlich freie Bahn. Drum sind auch Deine rabiaten Protagonisten wieder so präsent: Von Gaddafi über Chavez bis Ahmadinedschad reicht die globale Rowdy-Gang schwer erträglicher Typen, deren Testosteronspiegel irgendwie nicht zu ihrer sozialen Intelligenz passt. Und selbst unter den Demokraten obsiegen auffallend oft die Macho-Sarkozys, Angeber-Berlusconis und Kerle-Kaczynskis. Deutschlands Lafontaine passt in diese Szenerie wie die Faust aufs Auge.
Auch das brave, nüchterne Deutschland pflegt inzwischen Globalisierungs-Selbstlügen wie die, dass das schwerfällig gewordene Land seine Hausaufgaben schon gemacht habe und sich nun in einem tollen Aufschwung zurücklehnen könne. Oder die Einbildung, dass die Abermilliarden Schulden, die Deutschland mitten im Boom weiter anhäuft, eine solide Haushaltpolitik seien. Die Politik schimpft über unseriöse Hypothekenbanken und verhält sich mit ihrer Staatskasse selber so.
Selbst im Alltagskulturellen hinterlässt Du Spuren: Vom Bungee-Jumping über die Haudrauf-Computerspiele bis zur grotesken Sonnenbrillengröße reichen die Chiffres Deiner Jugendzeit, die die spätpubertären Eskapaden einer Britney Spears oder Paris Hilton verfolgt wie weltweite Selbstfindungsromane.
Nun mag man es mit Woody Allen halten, dass die Pubertät zwar nervt, aber auch prächtig unterhält. Und doch – lass uns ehrlich sein – wäre es ganz angenehm, wenn Du nun langsam ein wenig erwachsener, seriöser, ausgewogener, verlässlicher würdest.
Probier es doch in der Wirtschaft mal mit soliden Bilanzen, in der Politik mit Diplomatie, im Gesellschaftlichen mit Fairness, im Medialen mit echten Inhalten statt mit schrillen Formen. Respekt. Kultur, Tradition, Bescheidenheit – alles uncool? Denk an Deine Börsen. So wie dort die Coolen jetzt crashen, so könnte es Dir mit Deiner ganzen Grenzenlosigkeit gehen, wenn Du bis zum Realitätsschock wartest. Linke Etatisten wie rechte Nationale lauern nur darauf, Dir, also uns allen, die Freiheit wieder auszutreiben. Beide schimpfen schon wortgleich über den „Raubtierkapitalismus“ und den „Globalisierungshexenkessel“. Wenn Deine Freiheit scheitert, dann fallen wir zurück ins ideologische Dunkel vor 1989. Lass das nicht zu. Gib Dir endlich eine kultivierte, bürgerliche Fasson. Deine Welt ist mehr als nur ein Jahrmarkt.
Du wirst in diesem Jahr 18 Jahre alt; es ist Zeit, erwachsen zu werden. Mit Blick auf den Ernst des Lebens solltest Du jetzt Karl Jaspers lesen: „Die Tiefe des öffentlichen Tuns liegt in seiner leisen Nüchternheit.“

Update: Basisdemokratie via youtube?

The Democratic Debate - "Kleiner Gewinn oder reine Farce?", fragte ich neulich. Ein paar bei youtube verbrachte Minuten ergeben, dass ich mit meiner intuitiven Mahnung durchaus im Rechten gelegen habe. Ich schrieb: 

[...] ohne einen Blick in die eigentliche Sendung darf man sich eigentlich kein ernsthaftes Urteil erlauben: Wer mit CNN vertraut ist, weiß um die Tiefgründigkeit des Programms. Dazu kommt die mit Sicherheit auf das Programm (sowohl von CNN als auch der Demokraten) zugeschnittene Auswahl der Videobotschaften.
Die Frage nach der Zuständigkeit ist leicht zu beantworten: Sie oblag dem "CNN political team". Ein Kommentar dazu:



Nachfolgend noch der erste von insgesamt (offenbar) elf Teileinblicken in die Originalsendung. Ihr Erfolg lässt zu wünschen übrig: Lediglich 2,6 Mio. Zuschauer haben sich vom Format angezogen gefühlt. Bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von 301,139,947 wären das weniger als 1%. Soviel zum Anbahnungsprojekt "Demokratie 2.0".



Im Übrigen, wer's spannend findet: Morgen Abend dürfen sich die republikanischen Präsidentschaftskandidaten derselben Herausforderung stellen. Halt - ich muss korrigieren:
The debate had been scheduled for mid-September, but some candidates balked at the format after the Democratic debate and expressed concern that it would take time from their fundraising before the third-quarter deadline.

(Ohn)Mächtige Rechte im Netz?

Michael hat mich in seinem neulichen Kommentar zu meinem "Dank" an Herrn Broder auf sein wiederholtes Anbandeln mit dem "rassistischen" Lager hingewiesen. Über Broders eingefärbte Kritik möchte ich mich (noch) nicht äußern - dafür habe ich bisher zu wenig über ihn in eigene Erfahrung gebracht. Allerdings bin ich ein zwei Schritte den Spuren nachgegangen, auf die man durch den Verweis auf Herrn Niggemeier fast zwangsläufig stößt.

Ich bin schockiert. Im Ernst: Nach meinen ersten Eindrücken bin ich überrascht, wie zahlreich und dicht sich diese "konservative" Szene im Netz organisiert. Ich lese nun seit zwei oder drei Tagen immer wieder Stefan Herres Blog Politically Incorrect. Der stumpfen Beharrlichkeit, den verkürzten Argumenten, der populistischen Voreingenommenheit ist man ja irgendwie irgendwo schon mal begegnet, oder sie ist einem immerhin vom Hören-Sagen vertraut. Jetzt aber erschrickt mich die Präsenz, die Zahl. 16.964 Besucher im Verlauf des gestrigen Tages. Es ist ganz so, als würden die Stimmen dieser Menschen für mich zum ersten Mal wahrnehmbar. Denn das Sensationslüstern der Massenmedien plättet oftmals die Unterscheidung zwischen gefühlter Angst und drohender Gefahr - und das für alle Seiten: Das verrät mein Schock, das verrät aber auch die Haltung von Herrn Herre. Ohne das verzerrende Rauschen der großen Medien, ganz "un-medial", ganz "un-vermittelt", liest sich das in seinem Forum und den mit ihm Partei ergreifenden Bloggern Gedachte, Geäußerte und vor allem: auch Demonstrierte, ganz anders. Bedrohlicher, vielleicht weil für mich eben umso konkreter. Wahrscheinlich aber auch, weil es sich als "gewöhnlich", als "rechtens" zu gebärden versucht. Keine Abschottung liest man hier, sondern ein offenes, selbstbewusstes, missionarisches Auftreten. Glaubt man Herrn Herre und seinen Mitstreitern, sind es "wir" Deutschen, "wir" Europäer, in die Defensive gedrängt sind. Ich erinnere mich bei solchen Aussagen immer an die mahnend-witzigen Worte Salman Rushdies:

Beware the writer who sets himself or herself up as the voice of a nation. This includes nations of race, gender, sexual orientation, elective affinity. This is the New Behalfism. Beware behalfies! [1]
Wie Herr Herres bipolare Welt zustande kommt, hinterfragt dort niemand. Herzlich Willkommen in Saids ontologischem Orientalismus.

Ich fühle mich wachgerüttelt, bestürzt. Wenn ich allerdings im zweiten und dritten Anlauf darüber nachdenke, brauche ich mir meine Augen gar nicht so verwundert zu reiben, denn wie anders sollte meine Reaktion sein: Ich sitze hier, renne tagtäglich in die Uni, studiere meinen postmodernen Kiki, komme dann nach Hause und schreibe darüber eine diskursive Hausarbeit. "Orientbilder in Shakespeares Antony and Cleopatra" oder so. Nicht, dass ich dieses intellektuelle Geplänkel als "unpolitisch" abwerten will. Foucault ist lehrreich, Derrida ebenso, und sich wie nerone et. al. mit dem Nachlass Rudolf Steiners auseinanderzusetzen, ist fernab jeder Frage ein nicht weniger notwendiges Stück kritischer, bildungsgeschichtlicher Aufarbeitung.

Diskussion aber, und darauf will ich vermutlich gerade hinaus, ist nicht gleich Aktion. Der Vorwurf der Weichspülerei, dem man in den Kommentaren vieler Beiträge lesen kann, gilt, und das will ich betonen: berechtigterweise auch mir. Die Untätigkeit der Postmoderne, ihre apolitische Ferne zum Alltag, will auch ich überwinden.

Diese Bewegung, die sich u.a. um Herrn Giordano schart, ist konkret; in dem Sinne konkret, dass es öffentliche Orte jenseits der Öffentlich-Rechtlichen gibt (wie in diesem Fall das Netz), zu denen auch ich - wie jeder unter Euch - uneingeschränkten Zutritt habe.

Aber - und das ist ein entscheidender Punkt: Ich fühle mich nicht ohnmächtig. Diese Orte sind rein aus sich heraus keine Monopole, sie sind Meinungspole. Diejenigen unter Euch, die schon Erfahrungen mit oder in diesem Milieu gemacht haben, werden mich sicherlich, und vermutlich nicht zu unrecht, als Naivling sehen, dem seine Lehrstunde noch bevorsteht. Dennoch: Ich sehe mich verpflichtet, meine Stimme zu erheben, mit ihnen zu diskutieren. Mit "Hand und Fuß", wie man sagt, wobei ich damit keine aggressive Auseinandersetzung provozieren möchte. Im Gegenteil: Ich möchte diesen Hass verstehen. Wie kommt jemand dazu, eine derart ausgeprägte Angst gegenüber einem Fremden zu entwickeln? Mir ist und bleibt das unverständlich: Ich habe das seltene Recht auf drei Staatsbürgerschaften und bin sieben Jahre meiner Kindheit in Afrika aufgewachsen. Aus diesem Grunde habe ich vor "Fremdem" und "Unbekanntem", vor "Fremden", "Unbekannten" - seien sie aus Oranienburg oder Beijing, Moskau oder Teheran, keine Angst. Sie müssen mir diese Angst schon machen.

Ich will mich dort demnächst also behutsam einbringen, mit Respekt, Vorsicht und Bedacht, und sehen, wie tolerant die Reaktionen sind, die an mich zurückgetragen werden. Denn wie es weiter in Rushdies Essay heißt: "In the best writing, [...] a map of a nation will also turn out to be a map of the world." Man kann über das "best" streiten, die Richtung aber stimmt für mich.


[1] Salman Rushdie, "Notes on Writing and the Nation", in: Step Across this Line, New York, 2002, S. 58-61, hier: S. 60.

Revolte gegen die Moderne - Sendereihe des D-Radio

In der Ankündigung heißt es:

Die Gesprächsreihe "Revolte gegen die Moderne" setzt einen Kontrapunkt, der die historischen und gesellschaftspolitischen Dimensionen des zugrundeliegenden Nord-Südkonflikts und die Bemühungen um eine Erneuerung der Demokratie unter den Bedingungen der globalisierten Welt ins rechte Licht zu rücken versucht.
Mein Eindruck: Einmal mehr typisch postmodern. Viele "freundschaftliche" Ideen, wenig Handlungsansätze - Utopien ganz unpolitisch. Aber hört selbst.

"Barbarischer Westen" - Außenansichten der Moderne
Folge Eins

Wurzeln des Terrors
Der renommierter Politikwissenschaftler und Anthropologe, Mahmood Mamdani, schreibt über religiösen Fundamentalismus und seine politischen Auswirkungen. In seinem Buch "Guter Moslem, böser Moslem" verwirft er die These von den "guten" (säkularisierten, westlichen) und den "bösen" (vormodernen, fanatischen) Muslimen. Sein Apell lautet, rasch die islamophobische Sicht der Welt abzulegen, denn sie verstellt den Blick auf die wirklichen Probleme.
Folge Zwei

"Multikulti" am Ende
Für von Barloewen ist die homogene, globalisierte Welt vorerst nur eine Oberfläche, unter der die Kulturunterschiede der verschiedenen Gesellschaft fortbestehen. Lateinamerika beispielsweise habe eine stark metaphysisch, aufs Jenseits ausgerichtete Kulturtradition, die mit dafür verantwortlich sei, dass sich der Kontinent mit dem wirtschaftlichen Fortschritt so schwer tut. Japan dagegen verdanke seinen wirtschaftlichen Erfolg einer in ihren Wurzeln pragmatischen Kultur.
Folge Drei

Weltgesellschaft ohne Alternative
Detlev Claussen ist Publizist und Professor für Gesellschaftstheorie, Kultur- und Wissenschaftssoziologie an der Universität Hannover. Zwischen 1966 und 1971 studierte er bei Horkheimer und Adorno, Habermas und Negt in Frankfurt am Main und gehört zu den Gesellschaftswissenschaftlern, die sich bis heute der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule verpflichtet fühlen.
Folge Vier

Markus J. Prutsch
Folge Fünf 

Passivismus & Pop-Globalisierung

Ich bin mir ja nach wie vor nicht ganz sicher, wie ihn einschätzen soll: Henryk M. Broder. Früher stand ich ihm ablehnend gegenüber. Zu Gast auf einer von mir mitorganisierten studententischen Konferenz, hat er meine Einschätzung jedoch massigen können: Weil er sehr schnell entlarvte, wie viel "Schizophrenie" (mein Zitat, nicht seines) hinter den vielen vermeintlich guten Ansätzen zur Problemlösung steckt: Immer sind es die anderen, die ermahnt werden müssen, immer sind es insbesondere die Vereinigten Staaten, die das Ur-Böse darstellen, während wir nur moderates Abbild, kleineres Übel sind - auch dies nur, weil der Marshall-Plan die Amerikanisierung zwangsläufig mit sich brachte. Der Kern aller Entwicklungen war, ist und bleibt in den USA zu suchen.

Vieles von dem, was er uns Jungspunden nahegelegt hat, war daher keine weise Neuerkenntnis: Fang mit der Kritik an Dir selbst an. Wie trägst Du zu den Umständen bei, die Du verändert sehen möchtest?

Genau das ist ja der Ansatz von Projekten wie "Deine Stimme gegen Armut"; den Afrikabesuchen von George Clooney; den Kinderadoptionen von Madonna, Ms. Jolie und Herrn Pitt; Aktion Mensch und den Workcamps der Kolping-Werke.

"Ihre Hilfe trägt Früchte", versichert "Brot für die Welt" auf Werbeplakaten, als ob Empathie und Nächstenliebe plötzlich durch Investitionssicherheit motivert und gedeckt werden müssen. Die "Aktion Mensch" unterstreicht's:

"Das 5 Sterne-Los ist da!

Der 1. Stern steht für Ihr soziales Engagement
4 weitere Sterne stehen für Ihre Wünsche: Geld-
gewinne, Traumhäuser,
Haushaltsgeld, Rente!"


Eine potentielle Rendite von wieviel? Und bald gibt's Afrika-Aktien. Warum muss all diese Hilfe versickern in den Strukturen der Hilfskampagnen, die in Europa aufrechterhalten werden? Man informiert sich halb(herzig) - und delegiert. Ins politische Bewusstsein, in den alltäglichen Dialog, ins alltägliche "Gemeinsein" mit anderen, dringt wenig von dem vor, in welchem Maß in Afrika tatsächlich Tode gestorben werden. Guten Gewissens kann man sich zurücklehnen und beruhigt von sich behaupten, man "tue ja was". "Passivisten" hat meine Mitbewohnerin diese vermeitnlich Aktivisten neulich benannt, und damit einmal mehr das Kartenhaus der alltäglicher Verblendung und Einbildung zum Einsturz gebracht. Und das bringt mich zurück auf Herrn Broder: Danke Ihnen für die Erinnerung: "Man muss das Kind beim Namen nennen." Verantwortung für die Zukunft tragen hierzulande nur Wenige.

Broders eigene Worte dazu unter http://www.radioeins.de/meta/_programm/8/20070504_freitagskomm.ram

Basisdemokratie via you-tube?

Ist das vielleicht ein erster Schritt in eine richtige Richtung? Gewährt man dem Demos mehr Verantwortung, mehr "Kratie", wenn es via Videobotschaft ins Wahlkampfstudio durchdringen kann? Ein ernstzunehmender Versuch? Kleiner Gewinn oder reine Farce? Bei turi2 kommentiert man das Projekt zwar als Vorschau auf "Demokratie 2.0", aber ohne einen Blick in die eigentliche Sendung darf man sich eigentlich kein ernsthaftes Urteil erlauben: Wer mit CNN vertraut ist, weiß um die Tiefgründigkeit des Programms. Dazu kommt die mit Sicherheit auf das Programm (sowohl von CNN als auch der Demokraten) zugeschnittene Auswahl der Videobotschaften.
Aber, wie angemahnt: keine Überstürzung. Ich will sehen, ob youtube Einblicke in Sendung und Einsendungen (auch im derrida'schen Sinne) gewährt. Meine Vorahnung aber: Für mich ist dieses Projekt einmal mehr Anzeichen und Beweis dafür, dass Demokratie und Nationalstaat unvereinbar sind. Zu groß sind die Distanzen, zu vage die Bezüge zwischen Wähler und Politiker, Demokrat und Kandidat. Um Michaels Begriff aufzugreifen: Der Aktionsradius demokratischer Selbstorganisation ist viel kleiner als ntowendige Bewegungsraum, den ein Nationalstaat in Anspruch nimmt. Dialoge lassen sich nur mit einer begrenzten Zahl an Stimmen führen. Mehr dazu aber bald ...

Mehr Realismus in die Utopie

In der Tat, lieber Michael: Politik dem Einzelnen und seiner Verantwortung. Meine Stimme hast Du; das utopische Programm, für das Du Derrida zitierst, steht dem meinen gar nicht so entfernt. Im Folgenden ein Essay, den ich für eine studentischen Konferenz zusammengesponnen habe. Er erinnert mich immer wieder daran, dass Utopien wenig nützen - und seien sie auch noch so freundschaftlich gedacht - solange sie es versäumen, ihren Zukunftswert zu beweisen. Mit anderen Worten: Jede Utopie, will sie ihr Gehörtwerden unterstreichen, muss mir nicht nur das "was?", sondern zugleich auch das "wie?" beantworten - sie muss "politisch" sein. Was ich genauer darunter verstehe, will ich Dir demnächst gern erläutern; für heute: der angekündigte Essay.

Auf bald _ W



Postcolonial Immigration – Shaping the “Western World”?


How can we openly and critically discuss the impact(s) of immigration on the so-called “Western World” without taking into account the consequences of the process we call “globalisation”? We can’t, and yet, often we do. The majority of the “Western World”’s attempts to deal with immigration fall short due to a distorted sense of perception that will leave us ignoring global challenges until the very moment we are inevitably confronted with them. Frequently, the “western” public engages in discussions on the chances, scopes and limits of integration and assimilation; the necessity of reworking immigration policies; the carving out and relevance of individual national Leitkulturen. [1] However, such political frameworks remain too narrow and all too easily allow us to focus on a development – immigration – which at the same time in fact is a constituent and consequence of a much larger shift in global set-up: I refer, of course, to globalisation (Let me provocatively ask: Were it not for the questions (and self-questioning) that current issues and debates on immigration raise, could one not presume that globalisation takes place only on the “peripheries”?).
There are cardinal questions, then, that need to be addressed: How can we come to understand the fundamental transformations we are currently witnessing? How can we as already “democratised” and “globalised” societies deal with the challenges which global immigration brings with it? Are we ready to respect the “other”; are we ready to fully embrace the ideals we so often consider universal, epitomised in the revolutionary call for “liberty, equality, fraternity”?
Our answers to these questions will undoubtedly inform the perspective from which we approach one of globalisation’s most inherent challenges: How to interpret the undeniable reality of global inequality which, since Marx, economists have modelled into the euphemistic concept of “uneven development”. For is it not this radical “unevenness” that accounts for the vast stream of global migration towards the “West”?
In dealing with this question, scholars have taken up positions on both sides of the issue. Dependency theorists constitute one camp which argues

not so much for a rational or planned disparity of wealth growing out of colonialism […] as for a logic within capitalism that wishes to block development in specified areas of the world. […] One region, rather than another, is permanently subject to robbery, rapacious investment, and structurally unequal terms of trade. These regions, as a direct legacy of colonialism, are ruled by a lumpen bourgeoisie, a comprador class that makes its living in the interstices of multinational capital, cutting lucrative deals for its inner circles while ignoring development as such. [2]

Opposed to this point view are those who consider globalisation a force so revolutionary that it will eventually succeed the present-day political order and replace the nation-state. Departing from the idea that capital currently already flows “nationlessly”, “acting on behalf of its own interests and profits rather than those of a given state and for that reason […] becoming harder to define or oppose than its predecessor” [3], Michael Hardt and Antonio Negri’s Empire in fact insists that “[n]othing can be outside the global flows of capital and Empire.” [4] Consequently, if there is no possibility of being ‘outside of Empire’, everyone/thing can only be inside, i.e. one, unified. According to Hardt and Negri’s prophecy, then, globalisation is to be reckoned with as a force so irresistible that it will eventually level all differences, reproducing nothing else except itself.
Holding up theory to past practice, the “West” seems to have favoured the former model, supporting an “uneven” globalisation process with its ceaselessly double-tongued declarations: We officially advocate democracy, but secretly “engineer” soon-to-be liberal governments [5]; officially advertise policies of free trade abroad (as did the American Ambassador in the opening session of our forum, when he pleaded for countries such as China and India to broaden access to their markets) while reinforcing a protectionist hand in the “West” [6]; insist on cultural autonomy but then attempt to influence “developing countries” through mechanisms of “soft power” [7].
Keeping these “concomitant effects” of “globalisation” in mind, opinions such as those voiced by Tom Friedman, Foreign Affairs columnist at The New York Times, seem only too cynical:

I always say, in this globalization system there is just one road; […] and it’s the road, I believe, of free markets, of liberalized markets, and liberalized politics. But there are many speeds […]. There’s one road, and there’s many speeds. But promise me you just won’t do one thing – not go down the road at all. If you do that, I promise you, you’ll bring nothing but ruin and devastation to your people. [8]

According to Friedman’s perception of globalisation, History – and I deliberately spell it with a capital H – is already inevitably and unalterably laid out before us; all we have to do is follow the road globalisation has finely paved out. What is intriguing about his point of view is that it preaches economic assimilation while in the same instant it unconsciously implies the idea of cultural assimilation: One road, no intersections, no side streets. One of the ultimate, but of course unintended mirrors of these calls are global development rankings such as the Bertelsmann Transformation Index (BTI) which “measure” the “development” and “transformation” of non-“western” nations according to “western” criteria. [9]
It remains, of course, easier to critique the current wave of development than to offer valid analyses and starting-points that will motivate and enable an active reshaping of configurations. So, what have I to add to the plea that “[g]lobalization, to benefit everyone, must shed the idea that its purpose is to mold weaker countries’ cultures in the image of stronger ones” [10]? In order to formulate my thesis, let me return to the paper’s title – Postcolonial Immigration – Shaping the “Western World”?. I intend to make aware of two separate sets of questions here: 1) The forum’s title Immigration – Shaping the Western World leaves open who is currently shaping, or about to shape, the Western World. Is it us? Or is it the continuously growing flow of immigrants? Are we still in control, still in “power”, or are we about to be “overpowered”? These puns, superficial as they may be, serve well to reveal the struggle involved in current debates on immigration in Europe and the United States: namely, that we are not prepared – in the double sense of the word – to open up to those “others” who will in the future continue to arrive knocking at our door. 2) At the same time, while acknowledging “western” socienties’ reluctance to open up, I refer to global immigration as “postcolonial”. I wish to take a (what some would call moral) stand on the topic by contextualising current migration trends within and as a consequence of the history of colonialism. Despite the formal collapse of European empires, or even: because of the formal collapse of European empires, do we not have the undeferrable duty, responsibility and engagement to invite to participate in the wealth we have been able to enjoy those to whom we have neglected this very wealth? Are we, as “globalised” nations, at the same time entitled to limit the distribution of wealth while profiting from its disparate production?
Seeing that I am already proposing radical and messianic measures: Why not begin by aspiring to transform the global social sphere into a truly democratic space – with roads to follow, surely, but also rules to safeguard that no-one is harmed. As Hugh Silverman puts it – and please forgive me for quoting him in the German translation: „[R]echte Freundschaften legen die Räume fest, in denen die einzige Art, Freunde zu sein, diejenige ist, nur Freunde zu sein, Freundschaften, in denen die Differenzen zwischen Personen in Freundschaft eine Sa-che von Gerechtigkeit sind.” [11]



[1] Compare, for instance, http://yaleglobal.yale.edu/display.article?id=4790 and http://yaleglobal.yale.edu/display.article?id=7392.
[2] Timothy Brennan, “The Image-Function of the Periphery”, in: Ania Loomba et. al. (eds.), Postcolonial Studies and Beyond, Duke University Press (Durham, London) 2005, pp. 101-122, here p. 109.
[3] Vilashini Cooppan, “The Ruins of Empire: The National and Global Politics of America’s Return to Rome”, in: Postcolonial Studies and Beyond, pp. 80-100, here p. 85.
[4] Michael Hardt and Antonio Negri, Empire, Harvard University Press 2001, p. 43. For introductory reading consider the London Review of Books: Michael Bull, “You can't build a new society with a Stanley knife”, October 4th, 2001, http://www.lrb.co.uk/v23/n19/bull01_.html.
[5] “If you believe the White House, Iraq’s future government is being designed in Iraq. If you believe the Iraqi people, it is being designed at the White House. Technically, neither is true: Iraq’s future government is being engineered in an anonymous research park in suburban North Carolina.” Naomi Klein, “Hold Bush to His Lie”, posted February 6th, 2004, on www.nologo.org. Similar degrees of western “influence” are obvious, for instance, in Sudan and Tschad.
[6] “[O]ur aid policies are not coherent with the rest of the [foreign] policy agenda. In regard to trade and aid we give out with one hand, and we take back with the other. The agricultural policies prevent access for poor farmers to our markets. But even more problematic is, of course, that export subsidies for the surplus food produced by European farmers are being flooded into the markets of the poor.” Anders Wijkman, “Rethink Development cooperation”, address at the meeting of the Eko-social Forum in Vienna, October 15th, 2004, www.globalmarshallplan.org. Wijkman is a member of the European Parliament. See also José Antonio Ocampo, “Globalization, Development and Democracy”, in: Items and Issues, Vol. 5, No. 3, Social Science Research Council, 2005, pp. 11-20, here p. 11: “[V]arious goods of special interest to the developing countries are subject to the highest levels of protection, and in the case of agriculture, to subsidies in the industrialized countries.”
[7] “In recent years, a number of American thinkers, led by Joseph S. Nye Jr. of Harvard, have argued that the United States should rely more on what he calls its ‘soft power’ — the […] appeal of its ideas, its culture and its way of life — and so rely less on the ‘hard power’ of its stealth bombers and aircraft carriers.” Josef Joffe, “The Perils of Soft Power”, in: The New York Times, May 14th, 2006, http://www.nytimes.com/2006/05/14/magazine/14wwln_lede.html.
[8] “Terrorism May Have Put Sand in its Gears, but Globalization Won’t Stop.” Tom Friedman, interviewed by Nayan Chanda, YaleGlobal, February 3rd, 2003, http://yaleglobal.yale.edu/display.article?id=870.
[9] http://www.bertelsmann-transformation-index.de/11.0.html?&L=1.
[10] “Globalization and Culture”, Address by Queen Noor of Jordan at the 50th Anniversary Symposium of The Aspen Institute, August 22, 2000 – Aspen, CO, http://yaleglobal.yale.edu/about/academicpapers.jsp.
[11] Hugh J. Silverman, “Rechte Freunde: Die Ethik der (postmodernen) Beziehungen”, in: Erik M. Vogt et. al. (eds.), Derrida und die Politiken der Freundschaft, translated and with an introduction by Erik M. Vogt, Turia + Kant (Vienna) 2003, pp. 19-42, here: p. 21.

Alle Wege führ'n zu google

Was haben StudiVZ und google gemeinsam? Nichts? Von wegen.

Herzlich Willkommen im elektronischen Informationszeitalter: Während sich inzwischen so viele über den Verkauf von StudiVZ an die Familie Holtzbrink verärgern, weil die vielen Nutzerprofile so wertschöpfend durch die Tochterunternehmen genutzt werden können, ist es doch erstaunlich, wie ich gerade feststelle, was man alles einer vermeintlich uninteressierten Suchmaschine wie google anvertraut. Im Economist kann man nachlesen, wie man das Spiel mit dem vermeintlich "freien Fluss der Information" mit ganz anderem Ausmaß betreiben, also zum Betrieb machen, kann.

Die Schwierigkeit mit der Verantwortung

Der Grobe Entwurf fordert seine erste Stellungnahme. Ich danke Michael für sein offenes Kompliment und will mich an einer möglichen Antwort versuchen.

In Deinem Kommentar schreibst Du:

In Zeiten, in denen nichts entscheidbar ist, ist man um so mehr aufgerufen zu entscheiden. Und zwar jenseits jeglicher Allgemeingültigkeit, aber dafür um so "verantwortlicher".
Man kann also auf die postmodernen Gegebenheiten auf zweierlei Weisen reagieren: Resignation, Fatalismus, Ohnmacht oder radikal subjektiv, eingreifend, rückhaltlos verantwortlich.
Wichtig für die zweitere Variante ist, dass man sich dafür seinen Spielraum, seinen eigenen Aktionradius schafft.


Im Kern stimme ich Dir voll und ganz zu. Mein entschiedener Widerspruch gilt allein einem kleinen verräterischen Wort in Deinem letzten (Ab)Satz: "Wichtig für die zweitere Variante ist, dass man sich dafür seinen Spielraum, seinen eigenen Aktionradius schafft." Es geht Dir hier offensichtlich um was "Wie Verantwortung tragen?", um mögliche Auswege aus dem postmodernen Labyrinth. Warum aber muss es ein "eigener" Spielraum, ein "eigener" Aktionsradius sein?

Meiner Meinung nach müssen wir zukünftig vielmehr in "gemeinsamen" Aktionsradien zu denken lernen. Über Umwege, wie sich von selbst versteht.

Wie vielschichtig die von Dir - und meiner Meinung nach vollkommen zurecht - geforderte Übernahme voller "Verantwortung" ist, zeigt sich, wenn man den Begriff zu übersetzen versucht. Die naheliegenste Verweis würde wohl dem Wort "responsibilty"gelten, und ich möchte es hier kurz beibehalten, weil mir die différance mit ihm ein kleines Spiel erlaubt. Es hilft, einen in meinem Augen wesentlichen Kern einer jeden Verantwortung auszumachen: Jede Verantwortung, jede "responsibility" ist zugleich, immer, stets auch in einer mehr oder weniger gewollten oder abgelehnten Form eine "responsability" - eine Position, die für eine Antwort oder Reaktion auf etwas ("a response") nach einer "ability", also einem imstande Sein, dem Innehaben einer Entscheidungs- oder Machtposition verlangt. Ohne Autorität, ohne delegierte, von Seiten der Vielen dem Einen anvertraute Macht: keine Verantwortung.

Eine wahrhafte, vollwertige Demokratie aber will und muss versuchen, dass Gegenteil umzusetzen: Die Verantwortung aller. In einer sich seit sechs Jahrhunderten zunehmend globalisierenden Welt werden die Verhältnisse und Zusammenhänge allerdings immer undurchschaubarer, sie erfordern, salopp formuliert, zwangsläufig das Delegieren von Verantwortung an "Spezialisten". Aufgrund der bisherigen Bilanz lesen Du und ich jetzt unsere gegenseitigen Zeilen.

Einer der voreiligen Trugschlüsse der postmodernen Wissenschaften ist allerdings der, dass die Zersplitterung Großer Erzählungen zwangsläufig auch das Zusammenbrechen jeglichen Dialogs nach sich ziehen muss: Als ob mit dem Verstummen imperialer Stimmen sich plötzlich die Zuhörerschaft auflöst und nun jeder gegen jeden anspricht. Zugegeben: Für die zauberhafte Welt der Wissenschaft scheint in der Tat zu gelten, dass sich ihre Anhänger inzwischen endültig zu Einzelkämpfern haben degradieren lassen - für das eigene oder gegen das Argument eines anderen, vor allem aber für Lehrstuhlausstattung und exklusive Sonderforschungsbereiche. Hier darf und müssen wir also mit ganz besonderer Hartknäckigkeit fragen: Warum diese Kakophonie?

Unter anderem, weil die postmodernen Denker privilegiert sind und mit Vorliebe auf die Flüchtigkeit von Bedeutungen verweisen. Sie verdrängen dabei aber oft die Funktion der Sprache als Medium: Ihre Vermittlungsfunktion verlangt nach kurzfristiger Einigung, nach einem sporadischen Einfrieren der Bewegung - einem situationsbedingten "Dritten Raum", den die Dialogparteien für sich in Anspruch nehmen, um überhaupt in Dialog treten und über das Notwendige sich austauschen zu können (der Verweis gilt Homi Bhabhas Konzept des "third space").

Was ich damit andeuten will? Einerseits macht die Subjektivität des Interesses und des individuellen Willens jeden Gedanken anfechtbar. Andererseits ist es aber gerade die Einsicht in die Unmöglichkeit der vollständigen Selbsthinterfragung und Selbstaufklärung, die Nachhilfe von Außen geradezu erfordert und nach einer Kritik aus fremder Perspektive verlangt: "Jede sinnvolle Wertung fremden Wollens kann nur Kritik aus einer eigenen 'Weltanschaung' heraus, Bekämpfung des fremden Ideals vom Boden eines eigenen Ideals aus sein", schreibt Max Weber [1].

Meine Forderung also: Die Rückkehr zum Dialog. Die Forderung nicht nach eigenen Spielräumen, sondern nach gemeinsamen Entscheidungen. Wir wissen um unsere Subjektivität, wir können sie uns nicht oft genug bewusst machen. Der Dialog, die Kritik, die Auseinandersetzung und der Austausch müssen diese Subjektivität aber nicht notgedrungen zur Grenze unserer Handlungsräume machen. Ohne den Versuch der Umsetzung wäre auch Deine und meine Sorge um das Gemeine, die Gemeinschaft, die Demokratie ein weiteres Spiel mit Worten ...


[1] Max Weber, Die 'Objektivität' sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, Schutterwald (Baden): Wissenschaftlicher Verlag, 1995 [1904], S. 25.

Der Grobe Entwurf

Michael hat es auff den Punkt gebracht:

"Die Postmoderne ist so ein Begriff. Heute aus der Mode gekommen, schien er damals - schon damals - unser heutiges Leben zu beschreiben. Kurz: es ist alles nicht mehr so einfach. Die vielfältigen Verstrickungen und Wirrungen, die einem heute bereits begegnen, wenn man versucht eine Handlung oder eine gängige Praxis zu kritisieren, sind ein gutes Beispiel. Man kann nicht mal mehr für „Brot für die Welt“ spenden, ohne den einen oder anderen Bauern in der Armutsregion in seiner Existenz zu bedrohen. Man kann keine Kleider spenden ohne der ansässigen Textilindustrie zu schaden. Man kann kein Geld spenden, ohne den einen oder anderen korrupten Diktator zu stützen. Man kann keine Süßigkeiten mehr essen, wenn man gegen Nesté opponiert. Man kann Politiker nicht mehr für irgendwas verantwortlich machen, weil sie schon auf dem Zettel stehen haben, warum ihnen die Hände gebunden sind.
Überhaupt. Niemand ist verantwortlich. Für nichts. Wenn uns ein Verantwortlicher für irgendetwas präsentiert wird, dann kann man sicher sein, dass es sich um ein Bauernopfer handelt. So ist sie die Welt. Nicht mehr greifbar. Die Macht verschwindet in der Struktur. Und gegen die Struktur zu kämpfen ist wie gegen Windmühlen zu kämpfen."
Ich bin verstört. Die radikalen postmodernen Theorien, allen voran die Dekonstruktion, führen uns zu diesem Ergebnis. Man lähmt sich selbst: Wer Verantwortung tragen will, soll die Zustände und Bedingungen durchschauen, unter denen er zu sprechen glaubt, seine Stimme erhebt. Das Ergebnis ist die Umkehrung einer Weisheit, die seit Bacon gilt - Wissen ist Macht: Foucault hat sie hinterfragt und aufgedeckt, dass Wissen und Macht untrennbar miteinander einhergehen, sich gegenseitig bedingen. Während für ihn aber noch galt noch, dass man sich mit dem Durchschauen der Macht- und Wissensverhältnisse emanzipieren könne, meint die Postmoderne heute, sich selbst durchschauen zu können. Wissen ist Ohnmacht.

Nun ist das entscheidende Stichwort bereits gefallen: Emanzipation. Die postmodernen Denker balssen Unrecht bei Unrecht, weil sie nichts für eindeutig erkennbar halten. Alles vielschichtig, alles hybrid, alles ständig im Fluss. Alles richtig, aber alles sehr privilegiert. Wie einer meiner Dozenten mahnte:
"[I]ch habe nichts gegen die Sprachspiele(r) der Postmoderne. Nur: es geht eben nur und immer um Sprache. Und der Modus ist stets der des Spiels. Die Gestalt der Geschichte und die Konsistenz der Realität sind aber weder Sprach noch Spiel. Und darin liegen die Grenzen des Ansatzes."
Welchen Weg, welche Wege also einschlagen, ohne gleich die vielen wichtigen Einsichten der vergangenen Jahrzehnte aufgeben zu müssen? Nochmals: Die Postmoderne hat Recht mit ihrer aufmerksamen Verfolgung der so vertrakten Weltverhältnisse. Aber ihre Selbstlähmung ist die endgültige Verzerrung ihres vielleicht ursprünglichen Anliegens: Emanzipation, Befreiung aus ungerechten und ungerechtfertigten Machtverhältnissen, Selbstverortung und -bestimmung.

Geballte Arroganz


" ... Staaten wie Afrika ... "

Dr. Michael J. Inacker, stellv. Chefredakteur und Leiter des Hauptstadtbüros, Wirtschaftswoche im Rahmen einer Diskussion über Globalisierung und transatlantische Wirtschaftspartnerschaft im Paul-Löbe-Haus