Michael hat mich in seinem neulichen Kommentar zu meinem "Dank" an Herrn Broder auf sein wiederholtes Anbandeln mit dem "rassistischen" Lager hingewiesen. Über Broders eingefärbte Kritik möchte ich mich (noch) nicht äußern - dafür habe ich bisher zu wenig über ihn in eigene Erfahrung gebracht. Allerdings bin ich ein zwei Schritte den Spuren nachgegangen, auf die man durch den Verweis auf Herrn Niggemeier fast zwangsläufig stößt.
Ich bin schockiert. Im Ernst: Nach meinen ersten Eindrücken bin ich überrascht, wie zahlreich und dicht sich diese "konservative" Szene im Netz organisiert. Ich lese nun seit zwei oder drei Tagen immer wieder Stefan Herres Blog Politically Incorrect. Der stumpfen Beharrlichkeit, den verkürzten Argumenten, der populistischen Voreingenommenheit ist man ja irgendwie irgendwo schon mal begegnet, oder sie ist einem immerhin vom Hören-Sagen vertraut. Jetzt aber erschrickt mich die Präsenz, die Zahl. 16.964 Besucher im Verlauf des gestrigen Tages. Es ist ganz so, als würden die Stimmen dieser Menschen für mich zum ersten Mal wahrnehmbar. Denn das Sensationslüstern der Massenmedien plättet oftmals die Unterscheidung zwischen gefühlter Angst und drohender Gefahr - und das für alle Seiten: Das verrät mein Schock, das verrät aber auch die Haltung von Herrn Herre. Ohne das verzerrende Rauschen der großen Medien, ganz "un-medial", ganz "un-vermittelt", liest sich das in seinem Forum und den mit ihm Partei ergreifenden Bloggern Gedachte, Geäußerte und vor allem: auch Demonstrierte, ganz anders. Bedrohlicher, vielleicht weil für mich eben umso konkreter. Wahrscheinlich aber auch, weil es sich als "gewöhnlich", als "rechtens" zu gebärden versucht. Keine Abschottung liest man hier, sondern ein offenes, selbstbewusstes, missionarisches Auftreten. Glaubt man Herrn Herre und seinen Mitstreitern, sind es "wir" Deutschen, "wir" Europäer, in die Defensive gedrängt sind. Ich erinnere mich bei solchen Aussagen immer an die mahnend-witzigen Worte Salman Rushdies:
Beware the writer who sets himself or herself up as the voice of a nation. This includes nations of race, gender, sexual orientation, elective affinity. This is the New Behalfism. Beware behalfies! [1]Wie Herr Herres bipolare Welt zustande kommt, hinterfragt dort niemand. Herzlich Willkommen in Saids ontologischem Orientalismus.
Ich fühle mich wachgerüttelt, bestürzt. Wenn ich allerdings im zweiten und dritten Anlauf darüber nachdenke, brauche ich mir meine Augen gar nicht so verwundert zu reiben, denn wie anders sollte meine Reaktion sein: Ich sitze hier, renne tagtäglich in die Uni, studiere meinen postmodernen Kiki, komme dann nach Hause und schreibe darüber eine diskursive Hausarbeit. "Orientbilder in Shakespeares Antony and Cleopatra" oder so. Nicht, dass ich dieses intellektuelle Geplänkel als "unpolitisch" abwerten will. Foucault ist lehrreich, Derrida ebenso, und sich wie nerone et. al. mit dem Nachlass Rudolf Steiners auseinanderzusetzen, ist fernab jeder Frage ein nicht weniger notwendiges Stück kritischer, bildungsgeschichtlicher Aufarbeitung.
Diskussion aber, und darauf will ich vermutlich gerade hinaus, ist nicht gleich Aktion. Der Vorwurf der Weichspülerei, dem man in den Kommentaren vieler Beiträge lesen kann, gilt, und das will ich betonen: berechtigterweise auch mir. Die Untätigkeit der Postmoderne, ihre apolitische Ferne zum Alltag, will auch ich überwinden.
Diese Bewegung, die sich u.a. um Herrn Giordano schart, ist konkret; in dem Sinne konkret, dass es öffentliche Orte jenseits der Öffentlich-Rechtlichen gibt (wie in diesem Fall das Netz), zu denen auch ich - wie jeder unter Euch - uneingeschränkten Zutritt habe.
Aber - und das ist ein entscheidender Punkt: Ich fühle mich nicht ohnmächtig. Diese Orte sind rein aus sich heraus keine Monopole, sie sind Meinungspole. Diejenigen unter Euch, die schon Erfahrungen mit oder in diesem Milieu gemacht haben, werden mich sicherlich, und vermutlich nicht zu unrecht, als Naivling sehen, dem seine Lehrstunde noch bevorsteht. Dennoch: Ich sehe mich verpflichtet, meine Stimme zu erheben, mit ihnen zu diskutieren. Mit "Hand und Fuß", wie man sagt, wobei ich damit keine aggressive Auseinandersetzung provozieren möchte. Im Gegenteil: Ich möchte diesen Hass verstehen. Wie kommt jemand dazu, eine derart ausgeprägte Angst gegenüber einem Fremden zu entwickeln? Mir ist und bleibt das unverständlich: Ich habe das seltene Recht auf drei Staatsbürgerschaften und bin sieben Jahre meiner Kindheit in Afrika aufgewachsen. Aus diesem Grunde habe ich vor "Fremdem" und "Unbekanntem", vor "Fremden", "Unbekannten" - seien sie aus Oranienburg oder Beijing, Moskau oder Teheran, keine Angst. Sie müssen mir diese Angst schon machen.
Ich will mich dort demnächst also behutsam einbringen, mit Respekt, Vorsicht und Bedacht, und sehen, wie tolerant die Reaktionen sind, die an mich zurückgetragen werden. Denn wie es weiter in Rushdies Essay heißt: "In the best writing, [...] a map of a nation will also turn out to be a map of the world." Man kann über das "best" streiten, die Richtung aber stimmt für mich.
[1] Salman Rushdie, "Notes on Writing and the Nation", in: Step Across this Line, New York, 2002, S. 58-61, hier: S. 60.