Der Grobe Entwurf

Michael hat es auff den Punkt gebracht:

"Die Postmoderne ist so ein Begriff. Heute aus der Mode gekommen, schien er damals - schon damals - unser heutiges Leben zu beschreiben. Kurz: es ist alles nicht mehr so einfach. Die vielfältigen Verstrickungen und Wirrungen, die einem heute bereits begegnen, wenn man versucht eine Handlung oder eine gängige Praxis zu kritisieren, sind ein gutes Beispiel. Man kann nicht mal mehr für „Brot für die Welt“ spenden, ohne den einen oder anderen Bauern in der Armutsregion in seiner Existenz zu bedrohen. Man kann keine Kleider spenden ohne der ansässigen Textilindustrie zu schaden. Man kann kein Geld spenden, ohne den einen oder anderen korrupten Diktator zu stützen. Man kann keine Süßigkeiten mehr essen, wenn man gegen Nesté opponiert. Man kann Politiker nicht mehr für irgendwas verantwortlich machen, weil sie schon auf dem Zettel stehen haben, warum ihnen die Hände gebunden sind.
Überhaupt. Niemand ist verantwortlich. Für nichts. Wenn uns ein Verantwortlicher für irgendetwas präsentiert wird, dann kann man sicher sein, dass es sich um ein Bauernopfer handelt. So ist sie die Welt. Nicht mehr greifbar. Die Macht verschwindet in der Struktur. Und gegen die Struktur zu kämpfen ist wie gegen Windmühlen zu kämpfen."
Ich bin verstört. Die radikalen postmodernen Theorien, allen voran die Dekonstruktion, führen uns zu diesem Ergebnis. Man lähmt sich selbst: Wer Verantwortung tragen will, soll die Zustände und Bedingungen durchschauen, unter denen er zu sprechen glaubt, seine Stimme erhebt. Das Ergebnis ist die Umkehrung einer Weisheit, die seit Bacon gilt - Wissen ist Macht: Foucault hat sie hinterfragt und aufgedeckt, dass Wissen und Macht untrennbar miteinander einhergehen, sich gegenseitig bedingen. Während für ihn aber noch galt noch, dass man sich mit dem Durchschauen der Macht- und Wissensverhältnisse emanzipieren könne, meint die Postmoderne heute, sich selbst durchschauen zu können. Wissen ist Ohnmacht.

Nun ist das entscheidende Stichwort bereits gefallen: Emanzipation. Die postmodernen Denker balssen Unrecht bei Unrecht, weil sie nichts für eindeutig erkennbar halten. Alles vielschichtig, alles hybrid, alles ständig im Fluss. Alles richtig, aber alles sehr privilegiert. Wie einer meiner Dozenten mahnte:
"[I]ch habe nichts gegen die Sprachspiele(r) der Postmoderne. Nur: es geht eben nur und immer um Sprache. Und der Modus ist stets der des Spiels. Die Gestalt der Geschichte und die Konsistenz der Realität sind aber weder Sprach noch Spiel. Und darin liegen die Grenzen des Ansatzes."
Welchen Weg, welche Wege also einschlagen, ohne gleich die vielen wichtigen Einsichten der vergangenen Jahrzehnte aufgeben zu müssen? Nochmals: Die Postmoderne hat Recht mit ihrer aufmerksamen Verfolgung der so vertrakten Weltverhältnisse. Aber ihre Selbstlähmung ist die endgültige Verzerrung ihres vielleicht ursprünglichen Anliegens: Emanzipation, Befreiung aus ungerechten und ungerechtfertigten Machtverhältnissen, Selbstverortung und -bestimmung.

mspro hat gesagt… said:

2. September 2007 um 14:30  

Zunächst einmal: Super!!! Endlich ein Philoblog, dass sich mit postmodernen Fragestellungen auseinandersetzt. Du hat ab heute einen Leser mehr :-)

Zu Deiner Fragestellung: Ich dachte, ich hätte versucht, in meinem Artikel eine Antwort darauf zu geben: In Zeiten, in denen nichts entscheidbar ist, ist man um so mehr aufgerufen zu entscheiden. Und zwar jenseits jeglicher Allgemeingültigkeit, aber dafür um so "verantwortlicher".

Man kann also auf die postmodernen Gegebenheiten auf zweierlei Weisen reagieren: Resignation, Fatalismus, Ohnmacht oder radikal subjektiv, eingreifend, rückhaltlos verantwortlich.

Wichtig für die zweitere Variante ist, dass man sich dafür seinen Spielraum, seinen eigenen Aktionradius schafft. Ein Blog ist m.E. dafür schon mal ein gutes Tool. Darauf wollte ich hinaus.

Willyam hat gesagt… said:

4. September 2007 um 23:39  

MERCI MERCI für Deine enthusiastischen, ermutigenden, motivierendne Worte! Freu mich sehr, dass ich offenbar nicht ganz in die Anonymität hinein schreibe ... :-)

Gutes Dir & auf bald _ W

karl gumbricht hat gesagt… said:

5. September 2007 um 20:38  

Hey Willyam,

sieht so aus, dass wer mspro liest in Zukunft auch bei dir vorbei schauen sollte.

Mir hat es dieser Satz angetan: "Die Postmoderne hat Recht mit ihrer aufmerksamen Verfolgung der so vertrakten Weltverhältnisse."

Es sind ja eben diese Verhältnisse, diese Kreisschlüsse, die einem -gerade und vor allem- in einer vernetzten Welt, also auch in mspro's Utopie einer Welt der Beziehungen von Einzelnen, gleichzeitig Kommunikation befeuern und benebeln. Dialog statt Einigung ist ein wunderbares Motiv, mspro.

Ich komme wieder.

fullofthoughts hat gesagt… said:

23. September 2007 um 00:08  

Sich also aus der Selbstlähmung befreien, indem man Entscheidungen tätigt? Wahr ist, wo nichts entschieden wird, wird auch nichts bewegt. Aber ist das Subjekt nicht schon entscheidungsmüde bevor es überhaupt mündig ist? Schreit es nicht schon seit kleinauf von allen Seiten: Kaufe Lego, nein Kaufe Duplo! Iss Magnum Java, nein iss Lagnese Schokocremé! Und im Supermarkt wieder die Wahl welche Marmelade, welches Waschmittel ich nehme, welchen Käse? Und dann was studier ich? Wo lebe ich? Wer bin ich von den vielen die ich bin?
Hunderte bis Millionen von Entscheidungen sollen wir täglich treffen, darunter zahllose unnütze. Und davon ist manch einer Müde, zu Müde um noch am Ende zwischen Grünen, Roten, Schwarzen oder Braunen zu wählen, zu Müde um sich noch in das System zu denken? Und dann geht er gar nicht mehr...
Das radikal-subjektive Handeln erfordert die Überwindung der Ohnmacht und dabei sollte man bedenken, dass radikal-subjektiv auch als egoistisches Handeln ausgelegt werden könnte, und ist es nicht das was getan wird? Und falsch getan wird: Egoistisch sein?
Aber vielleicht bin ich auch zu müde um zu dieser Stunde noch einen klaren Gedanken zu fassen und wende mich dem beizeiten wieder zu...

Anonym hat gesagt… said:

22. Juli 2008 um 20:59  

Um nicht in der Verstörung der Selbstlähmung zu verfallen, ist es hilfreich, sich zu erinnern, dass der Impuls zum Handeln allermeist nicht aus der Analyse und Beschreibung von Welt entsteht, sondern aus der existenziellen Konfrontation mit ihr.

Also niemals allein aus dem Kopf, sondern aus der menschlichen Ganzheit mit Herz und Bauch.

Ob ich nun gegen Windmühlenflügel kämpfe oder dem Weltgeist mal wieder auf die Sprünge helfe, ist letztlich nicht entscheidend, wenn ich einem Dürstenden Wasser reiche oder einem Bedrängten helfe. Wenn ich MITFÜHLE (->Spiegelzellen), dann verlieren philosophische Letztbegründungsprobleme jegliche Bedeutung.