"Liebe Globalisierung!" - von Wolfram Weimer

Wolfram Weimer, Herausgeber und Chefredakteur von Cicero, über die derzeit wilden Tage eines heranwachsenden Teenagers - die Globalisierung. [direkter Link zum Artikel]


Das Donnerwetter an Deinen Weltbörsen mag glimpflich ausgehen wie ein Sommergewitter oder übel wie ein Orkan, der uns in eine Weltwirtschaftskrise stürzt. In jedem Fall ist es symptomatisch für Dein seltsames Verhalten in jüngster Zeit. Lass uns ehrlich sein: Du bist mitten in der Pubertät.
In Deinem Geburtsjahr 1989 haben wir Dich alle freudig gefeiert, in den neunziger Jahren hast Du grenzenlos laufen gelernt und spaziertest wohlstandsmehrend um die Welt. Seit einiger Zeit aber steckst Du in Deiner wilden Jugend. In Deinem Kopf geistern allerlei Allmachtsfantasien wie der Glaube, man könne sich amerikanische Häuser ohne Geld kaufen, das Klima retten oder ganz Asien in einem Katzensprung vom Armenhaus in ein Glitzerkasino verwandeln.
Auch jenseits Deiner Börsen scheint die schrille Zurschaustellung Deiner Potenz wie eine Grundsignatur unserer Zeit. Ob sie nun in Dubai künstliche Inseln ins Meer werfen, in Schanghai mit flimmernden Hochhäusern protzen, in der arabischen Wüste Skihallen bauen, wie Rocker mit Private-Equity-Milliarden durch die globale Unternehmenswelt ziehen oder sich in New York mal eben das Wall Street Journal unter den Nagel reißen – das globale Kerletum triumphiert. Die Grundpose dieser Heldentaten hat immer etwas von einem Michael-Jackson-Tanz-Imitat vor dem heimischen Spiegel.
Zum Gestus Deiner Sturm-und-Drang-Zeit gehört auch die zuweilen rabiate Art, Konflikte zu lösen. Der globale Kult des islamistischen Terrorismus trägt starke Züge pubertärer Massen-Aggression. Aber auch George Bushs Reaktionskriege wirken so durchdacht und erfahrensklug wie eine studentische Spring-Break-Schlägerei in Texas. Das besonnene, das reife, das gutmütige Amerika scheint wie in einem elterlichen Mittagsschlaf, während der wilde Sohn ums Haus jagt.
Aber Du hast mit Deiner Pubertät auch Russland angesteckt. Putins Protzerei, russische Fähnchen auf den Nordpol zu pflanzen, mit Langstreckenbombern herumzudonnern, Nachbarn anzupöbeln und sich mit Muskelbody als Sibirien-Cowboy zu inszenieren, erinnert fatal an den fünfzehnjährigen Vorstadt-Django. Und wenn die dritte, die chinesische Weltmacht ihrem wilden Nationalismus huldigt, dann fühlt man sich auch eher an Fußballfan-Flaumbärte in der Südkurve erinnert denn an den weisen alten Mann aus Peking.
Die politische Kultur der Weltbühne lässt Deinem pubertären Trieb leider ziemlich freie Bahn. Drum sind auch Deine rabiaten Protagonisten wieder so präsent: Von Gaddafi über Chavez bis Ahmadinedschad reicht die globale Rowdy-Gang schwer erträglicher Typen, deren Testosteronspiegel irgendwie nicht zu ihrer sozialen Intelligenz passt. Und selbst unter den Demokraten obsiegen auffallend oft die Macho-Sarkozys, Angeber-Berlusconis und Kerle-Kaczynskis. Deutschlands Lafontaine passt in diese Szenerie wie die Faust aufs Auge.
Auch das brave, nüchterne Deutschland pflegt inzwischen Globalisierungs-Selbstlügen wie die, dass das schwerfällig gewordene Land seine Hausaufgaben schon gemacht habe und sich nun in einem tollen Aufschwung zurücklehnen könne. Oder die Einbildung, dass die Abermilliarden Schulden, die Deutschland mitten im Boom weiter anhäuft, eine solide Haushaltpolitik seien. Die Politik schimpft über unseriöse Hypothekenbanken und verhält sich mit ihrer Staatskasse selber so.
Selbst im Alltagskulturellen hinterlässt Du Spuren: Vom Bungee-Jumping über die Haudrauf-Computerspiele bis zur grotesken Sonnenbrillengröße reichen die Chiffres Deiner Jugendzeit, die die spätpubertären Eskapaden einer Britney Spears oder Paris Hilton verfolgt wie weltweite Selbstfindungsromane.
Nun mag man es mit Woody Allen halten, dass die Pubertät zwar nervt, aber auch prächtig unterhält. Und doch – lass uns ehrlich sein – wäre es ganz angenehm, wenn Du nun langsam ein wenig erwachsener, seriöser, ausgewogener, verlässlicher würdest.
Probier es doch in der Wirtschaft mal mit soliden Bilanzen, in der Politik mit Diplomatie, im Gesellschaftlichen mit Fairness, im Medialen mit echten Inhalten statt mit schrillen Formen. Respekt. Kultur, Tradition, Bescheidenheit – alles uncool? Denk an Deine Börsen. So wie dort die Coolen jetzt crashen, so könnte es Dir mit Deiner ganzen Grenzenlosigkeit gehen, wenn Du bis zum Realitätsschock wartest. Linke Etatisten wie rechte Nationale lauern nur darauf, Dir, also uns allen, die Freiheit wieder auszutreiben. Beide schimpfen schon wortgleich über den „Raubtierkapitalismus“ und den „Globalisierungshexenkessel“. Wenn Deine Freiheit scheitert, dann fallen wir zurück ins ideologische Dunkel vor 1989. Lass das nicht zu. Gib Dir endlich eine kultivierte, bürgerliche Fasson. Deine Welt ist mehr als nur ein Jahrmarkt.
Du wirst in diesem Jahr 18 Jahre alt; es ist Zeit, erwachsen zu werden. Mit Blick auf den Ernst des Lebens solltest Du jetzt Karl Jaspers lesen: „Die Tiefe des öffentlichen Tuns liegt in seiner leisen Nüchternheit.“