Über Ökonomisierung

„Ökonomisierung bedeutet zunächst nichts anderes als Rationalisierung, Effizienzsteigerung und Leistungsorientierung. Wer konsequent ökonomisch handelt, erledigt seine Arbeit so, dass er das selbe oder ein besseres Resultat in kürzerer Zeit und mit verbesserten Mitteln erreicht. Durch den Einsatz neuer Technologien etwa, durch Arbeitsteilung oder besseres Zeitmanagement. Der Gewinn ist übrigens jedes Mal – freie Zeit. Zeit für andere Tätigkeiten oder all die schönen Dinge jenseits der Arbeit.
Das genau also heißt Ökonomisierung: Das Gleiche in weniger Zeit. Zeit, die man wieder investieren kann, um neue Erträge zu ernten. Mehr Geld oder mehr Wissen zum Beispiel. So entsteht Produktivität“
(Quelle).

Lehrt mich die BWL nicht – und vielleicht täuschen mich hier auch nur meine laienhaften Fremdkenntnisse – dass jeder Marktprozess letztlich ein Nullsummenspiel ist? Dass es für jeden Produktivitätsgewinner an anderer Stelle, an anderem Ort und zu anderer Zeit, einen Verlierer gibt, für den Einbußen entstehen? Während ein „Verlust“ an sich noch nichts Tragisches in sich bergen muss, irritiert mich die Wahrnehmung von „Verlusten“ aus einer „ökonomisierten“, den Verlust „naturalisierenden“ Logik heraus. Soweit ich es überblicke, ist Ö. nämlich keineswegs allein das Recht des Stärkeren, des Schnelleren; nicht nur Rationalisierung und effizienzgeleitete Nutzengewichtung, Aufwandskonzentration; nicht nur Kostenminimierung zur Einsatzmaximierung. Dem ökonomisch Denkenden fehlt der Respekt vor seinem Gegenüber. Achtung gewährt er nur, weil sie als Vorsicht dem Selbstschutz, der Rücksichtnahme auf sich selbst dient. „Im wirtschaftlichen Denken widerfährt dem Opfer keine Ehre“, lese ich bei Adolf Muschg (Was ist europäisch? Reden für einen gastlichen Erdteil; 26). „Das Soziale ist [eben] leider keine erfreuliche – und schon gar keine automatische – Nebenwirkung des unbeschränkten Wettbewerbs. Als darwinistisches Prinzip neigt dieser eher dazu, die Grundlagen des Sozialen zu zerstören und den Gerechtigkeitssinn zu entwerten, denn dieser kann die Gesellschaft etwas kosten“ (32).

Aber: Genügt Einsicht als erster Schritt auf dem Weg zur gelobten Globalisierung Besserung?

Mark hat gesagt… said:

20. Juli 2008 um 14:26  

Wir hatten es gerade bei mir von Betriebsfesten. Da kann ich noch etwas berichten: Und zwar habe ich vor einigen Jahren auf solchen Feiern als Helfer bei der Kinderbetreuung gejobbt. Da gab es ein Spielkonzept, das ging in etwa so, dass die Kinder nur an Stationen (Rutsche, Kletterwand, etc.) oder Spielgeräte durften, wenn sie dafür kleine Murmeln zahlten. Diese Murmeln konnten sie wiederum durch kleinere Mitarbeiten verdienen, z.B. indem sie auf kleinere Kinder aufpassten oder die Kassiertätigkeiten an bestimmten Stationen übernahmen.

Es gab nur manchmal die Situation, dass etliche Kinder mehr am Sammeln der Murmeln - die passenderweise auch noch 'Mammons' hießen - interessiert waren, als am Benutzen der Spielgeräte und Stationen selbst. Da war dann ein plärrendes Ungleichgewicht bei den restlichen Kindern kaum zu vermeiden. Und es war teilweise ganz schön harte Überzeugungsarbeit, diese Kinder dazu zu bringen, wieder etwas in die Gemeinschaft zurückfließen zu lassen.

Das Ganze wurde dann als Lernspiel zur freien Wirtschaft angepriesen ;)

Willyam hat gesagt… said:

21. Juli 2008 um 20:00  

Aha: haben sie gleich und klein auf mal gelernt, was "Inflation" bedeutet, hm? Aber solange sie sich nicht aus gegenseitigem Neid die Hälse langgezogen haben, sondern "nur" den lückenhaften Währungsumlaufs beanstandet haben ... :-)

Mark hat gesagt… said:

21. Juli 2008 um 21:26  

Nun ja, sie haben eher nach den Eltern oder den Betreuern geschrieen. Also so ähnlich wie in der freien Wirtschaft auch: Wenn es nicht rund läuft, soll es die übergeordnete Instanz richten, der Staat, richten. Auch interessant: ab und zu gab es dann Kinderstimmen, die uns vorwarfen, dass das doch unfair sei und man eine Regel bräuchte, dass jeder bei einer Obergrenze an gehorteten Murmeln diese auch wieder ausgeben müsse. Man sieht, auch auf der Mikroebene kann Ökonomie nicht ohne Moral und Regulierung von außen funktionieren.

Hmm, aber bevor ich das weiter ausführe, muss ich überdenken, ob damit nicht schon die Grenzen dieser Analogie ausgereizt sind ;)

Willyam hat gesagt… said:

22. Juli 2008 um 01:00  

Nun, Dein "Erfahrungsbericht" macht deutlich, was viele BWLer vermutlich intuitiv abstreiten: dass bereits das "infans oeconomicus" ein kleines Gewohnheitstier ist und keinem genetischen Programm folgt. Die nächste Stufe wäre vielleicht diese Aufgabe: verteile die gewollt knappen Ressourcen so, dass Spaß auf dem Spielplatz nur nach Absprache möglich ist. Der mit den Murmeln muss den Spaß der/eines anderen "finanzieren"; den "Gewinn" an Murmeln allerdings erhält der Spaßhabende, der seinen Reichtum direkt wieder in seine Nächsten investieren muss, weil sonst keiner mehr irgendwas darf ... wäre doch mal eine Variante, meinst Du nicht? :-)

Mark hat gesagt… said:

23. Juli 2008 um 12:39  

Das wäre in der Tat eine gute Variante ;) Auch wenn die Wirklichkeit uns da schon überholt hat.

Willyam hat gesagt… said:

25. Juli 2008 um 03:23  

DAS ist wirklich KRASS! Ich hätte wirklich beim schlimmsten Gedanken nicht vermutet, dass man Second Life von seinem Ansatz übertreffen kann ... aber das war wohl gestern. Wirklich beängstigend. Und wie, nebenbei bemerkt, der Artikel seine kritische Distanz bewahrt ... :-(