Macht = Kapital?

Vielleicht verfalle ich gerade in eine Revisionsphase, nachdem ich das Kulturheilige um Heideggers Gedanke der Geworfenheit zu ergänzen versucht habe. Ich wäge ab, ob sich Russells Gegenüberstellung von „geistiger“ und „technischer Macht“ nicht effektiver als geistiges und technisches „Kapital“ denken ließe. Russells Aussage war diese:

„Die Wissenschaft als geistige Macht ist skeptisch und wirkt etwas destruktiv auf den sozialen Zusammenhalt, während sie als technische Macht genau die entgegensetzten Eigenschaften besitzt. Die technischen Entwicklungen, die den Naturwissenschaften zu verdanken sind, erhöhten Größe und Wirkungsbereich der Organisationsformen und vermehrten insbesondere die Macht der Regierungen.“

Die Anlehnung an Bourdieu suche ich bewusst, auch wenn mir die Konsolidierung beider Konzepte (noch) schwer fällt. Denn nur auf den ersten Blick wirkt diese Einpassung als Ergänzung: Jedes „Feld ist ein Ort von Kräfte- und nicht nur Sinnverhältnissen und von Kämpfen um die Veränderung dieser Verhältnisse, und folglich ein Ort des permanenten Wandels.“ Was symbolisches, aufgeschlüsselt also ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital nicht zu fassen vermag, leisten seine geistigen und technischen Formen, indem sie die Stabilisierungen und Destabilisierungen erfassen, die Bourdieu mitgedacht hat. Das Feld aber lebt in jedem und durch jeden seiner Akteure, der sich wiederum am Habitus orientiert. Er – der Habitus – ist die jede (De-)Stabilisierung verhandelnde Instanz. Er trifft eine „systematische ‚Auswahl’ […] zwischen Orten, Ereignissen, Personen des Umgangs“ um sich so gegenüber „Krisen und kritischer Befragung“ zu sichern.

Meine Bedenken gegenüber Bourdieus Theorie rühren aus der Engstirnigkeit ihres Strukturalismus. Inwieweit hat er die Möglichkeit vorgesehen, dass Stabilisierung und Destabilisierung nicht nur innerhalb eines Felds austariert werden, sondern auch von Außen in ein Feld hineingetragen werden können? Wie hermetisch also ist sein Feld-Begriff? Joas und Knöbl erklären mir, dass Bourdieu weder „überzeugend[e] Auskunft darüber geben [kann], wie viele Felder es gibt [… noch] wo genau die Grenzen zwischen […] Feldern zu ziehen sind. Diese Fragen sind für mich deshalb von Bedeutung, weil ich Russells Dichotomie als Motivation für eine schwerere „geisteswissenschaftliche Vereinnahmung“ ökonomischer Theorien verstehen möchte. Es geht mir also nicht darum, habituelle Unterschiede zwischen dem Feld der Geisteswissenschaften und der ökonomischen Lehre zu kennzeichnen – sondern darum, zu erkennen, dass sie zwei Felder ungleichen Machtgewichts sind, mit unterschiedlicher Distanz zum Gravitationsschwerpunkt zu Politik, Wirtschaft, Globalisierung stehen.

Wollte man die Forderung nach einer „technischeren“ Geisteswissenschaft in Bourdieus Strukturalismus einfassen, lautete sie wohl: „Es gilt, den Habitus ökonomischen Denkens zu destabilisieren und postmodern zu färben.“

Ob Bourdieu die Möglichkeit solcher „Feldübergriffe“ erlaubt? Ist ein erster z.B. mit der Einführung des „Kulturwirts“ vielleicht schon getan?



Literatur
Hand Joas und Wolfgang Knöbl, Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen. Frankfurt (Main): Suhrkamp, 2004, S. 518-557.