Hermeneutische Variable

Der Begriff des „Kulturheiligen“ war für mich von vornherein ein verlegener, dessen Unbeholfenheit die Andeutung transzendentaler, metaphysischer Essenz nicht leugnen kann. Als vorläufige „hermeneutische Variable“ ist er mir dennoch mehr als hilfreich, insofern er mich auf etwas verwiesen hat, das ich inzwischen besser benennen zu können glaube. Das „Kulturheilige“ sollte die „Anerkennung des Anderen im Gegenüber“ bezeichnen, die mit der Pflicht aufwartet, „den kulturellen, sozialen oder wie auch immer aus meiner Perspektive begriffenen Hintergrund des Anderen 'wie etwas Heiliges', 'als etwas Heiliges', sprich: für mich nur mittelbar (wenn überhaupt) Begreifbares oder Zugängliches [zu] achte[n]“. Eine Formulierungsvariante, die meines Erachtens ähnliches vermittelt, ist Heideggers Idee der "Geworfenheit":

Geworfenheit nennt Heidegger die Art, wie das ich zu seinem eigenen In-der-Welt-sein gekommen ist. Die Geworfenheit ist nicht die faktische Geburt, sondern die konstitutive Form jedes menschlichen Lebens.“ [Quelle]. Im O-Ton: „Die Geworfenheit ist nicht nur nicht eine »fertige Tatsache«, sondern auch nicht ein abgeschlossenes Faktum. Zu dessen Faktizität gehört, daß das Dasein, solange es ist, was es ist, im Wurf bleibt und in die Uneigentlichkeit des Man hineingewirbelt wird“ [Quelle].

Dieser Erfahrung des „Geworfenseins“ ist nun – und hier schließe ich an das „Kulturheilige“ an – die uneingeschränkte „Dignität einer Erfahrung, die vergänglich ist“ (Walter Benjamin) zuzugestehen.

Das nur kurz notiert; für eine standfestere Verteidigung werde ich mich noch ein wenig belesen müssen ...