Präsent-was?

Manche Schlagworte, durch die neue akademische Strömungen ausgerufen werden sollen, verstecken ihre Banalität vergebens, weil sie mit einer solchen Offensichtlichkeit ihrem tatsächlichen Zweck dienen: der Drittmittelwerbung. Sofern sich jemand die Mühe machen möchte, eine hierarchisierte Aufstellung (neudeutsch: Top Ten) peinlicher Denkschulen zu führen – der „Präsentismus“ dürfte nicht nur nicht fehlen, sondern gehörte zweifelsohne auch auf einen ihrer vordersten Ränge.

Zwei Mahnungen scheinen seine Vertreter zusammenführen zu wollen. Zum einen der selbstverständliche Ruf, sensibel mit dem unvermeidlichen Übertrag der eigenen Wertmaßstäbe auf sozialhistorische Zusammenhänge umzugehen: Die Renaissance als sexistisch und autochtone Bevölkerungen als hoffnungslos vormodern wahrzunehmen sind zwar willkürliche, aber dennoch „repräsentative“ Beispiele verkrampfter Platzzuweisungen, die das historisch oder geographisch Andere nur im eindimensionalen Verhältnis zur eigenen Gegenwart begreifen lassen.

Zum anderen scheinen „Präsentisten“ zeitgleich dem Irrglauben aufliegen zu wollen, man könne durch intensive Beschäftigung mit dem eigenen, jüngsten Zeitgeist die geschichtlichen Interesseneinschränkungen der Gegenwart gegenbügeln, um einen reineren, unbelasteteren, „objektiveren“ Blick in die Vergangenheit richten zu können. Der „Präsentist“ sieht sich also in einer Doppelfunktion als gegenwartsbezogener Zeit-, aber vergangenheitsorientierter Kultur- und Sozialhistoriker.

Leistet all das nicht bereits in hervorragendem Maße jede sorgfältige Diskursanalyse mit dem Handwerkszeug, das einem Foucault beerbt hat?


Quellen:
Jon Klancher, "Presentism and the Archives".
Lynn Hunt, "Against Presentism".
SHAKESPER Roundtable: Presentism.