Exportware Recht, "made in Germany"

Würde ich nicht gerade die F.A.Z. für zwei Wochen probeabonnieren, wäre unsere Justizministerin Brigitte Zypries für mich nach wie vor ein mehr oder weniger unbeschriebenes Blatt geblieben. Ich gebe sogar zu, dass ich mir noch nicht einmal sicher bin, ob ich sie als Kabinettsmitglied unserer amtierenden Regierung identifiziert hätte. Seit gestern aber kann ich nicht nur ein Gesicht, sondern auch eine Meinung mit ihrem Namen verbinden: Sie möge doch bitte augenblicklich zurücktreten. Oder ins Bundeswirtschaftsministerium wechseln. Denn was die F.A.Z. auf Seite 10 ihrer gestrigen Ausgabe aus der Feder von Frau Zypries veröffentlicht hat, bleibt mir unbegreiflich.

Von solchen Vorstößen hat man gelegentlich schon gehört, und dass Frau Zypries sie unterstützt, provoziert keinen grundlegenden Unmut. Ihre vier Spalten über das deutsche „Rechtssystem mit Qualitätssiegel“ aber sind von solch diskreter Beratung allerdings weit entrückt. Im „Wettbewerb um das beste Recht“ dürfe Deutschland nicht zurückstehen, mahnt sie und fordert für die Zukunft einen gesteigerten Einsatz für die „Verbreitung unserer Rechtsordnung“. Denn „unsere Gesetzbücher tarieren unterschiedliche Interessen fair aus und sorgen für eine angemessene Verteilung der Risiken.“ Mit Bedauern weist sie daher darauf hin, wie sehr wir es in der Vergangenheit versäumt hätten, unseren „Einsatz“ zu diversifizieren: „unsere internationale Beratung [wurde] bisher zu einseitig von der Nachfrage der Partnerländer bestimmt“. „[S]trategische Koordination“ sei also unabdingbar, um sich an diesem Wettbewerb umfassender zu beteiligen. Motivationsgründe dafür gibt es ihrer Ansicht nach genug: Unsere Rechtsordnung „erleichtert“ die „internationalen Aktivitäten deutscher Unternehmen, sie bietet deutschen Anwaltskanzleien neue Aussichten und Felder und erhöht die Bereitschaft ausländischer Unternehmen, in einem Land mit vertrauter Rechtsordnung zu investieren.“

Das Rechtssystem als geschäftssichernder Exportartikel also, und sein Nutzen nochmals von Frau Zypries anhand eines Beispiels erklärt: „Wenn […] in China Wohneigentum an Bedeutung gewinnt, ist dies nicht nur eine Chance für die Verbreitung des deutschen Grundbuchrechts, sondern auch für deutsche Sparkassen.“ Muss ich „deutsch“ eigentlich noch kursiv setzen? 14, in Worten: vierzehn Mal zähle ich die Vokabel.

Übertreibe ich, wenn ich damit die Rede vom Demokratieexport auf das „Recht“ ausweite – den feinen Unterschied natürlich einbedacht, dass die Rede von Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit vollends überflüssig geworden zu sein scheint? Nochmals im Klartext: Die deutsche Justizministerin Zypries bewirbt ein Rechtssystem als Exportartikel. „Standortvorteil Recht“, hat sie das an früherer Stelle benannt. Und gemäß ökonomischer Logik geht es nicht um nichts anderes als Vorteile - um Globalisierung. Ihre Zügelung hätte ich von Frau Zypries zumindest im Ansatz erwartet. Von Demokratie aber lese ich bei ihr nicht ein einziges Wort.

Mark hat gesagt… said:

28. Oktober 2008 um 21:47  

Gestern schrieb ich noch bei mir eine Antwort auf Deinen Kommentar über die Ökonomisierung anderer Gesellschaftsbereiche, heute bringst Du das passende Beispiel.

Ich würde das jetzt Arbeitsteilung nennen, wenn der Begriff nicht schon so ökonomisch besetzt wäre.

mspro hat gesagt… said:

29. Oktober 2008 um 11:26  

So oft ich ganz bei Dir bin. Ich verstehe hier den Kritikpunkt nicht ganz. Was sind die schlechten, irgendwie negativen Auswirkungen für uns/ die Chinesen / sonst wen, an einem solchen "Export"?
Ich muss dazu sagen, ich hab noch nicht wirklich drüber nachgedacht, wie ich das finden soll. Aber in Deine Kritik bringt mich da auch nicht weiter.

Willyam hat gesagt… said:

29. Oktober 2008 um 12:25  

@ mspro: Die Kritik ist die: Was soll der Übertrag, die Transplantation? Wie wär's, einmal herumphantasiert, denn mit kamerunischem, und nicht deutschem Grundbuchrecht für Kamerun? Was haben deutsche Bausparkassen in China verloren? Ist mein Unverständnis so abwegig, wenn ich die Rhetorik des Artikels als Fortsetzung der Vergangenheit mit anderen Mitteln verstehe? Und diese Fortsetzung aus der Feder einer Justizministerin, die sich doch um Rechtsabsicherung, aber nicht um ökonomisierte Expansion von Rechtsräumen bemühen sollte?
Ich finde das doch irgendwie äußerst zynisch, und sofern es nicht mehr für Aufregung sorgt, verrät es umso mehr über unser Rechts- und Selbstverständnis.

mspro hat gesagt… said:

29. Oktober 2008 um 13:50  

Dass die Zypris da nicht ganz in ihrem Kernaufgabengebiet schreibt, ist zwar wahr, aber warum soll Sie dazu denn keine Meinung haben? Ich finde das nicht schlimm.

Welches Grundbuchrecht in Kamerun herrscht sollten allerdings die Kameruner entscheiden. Aber wenn das deutsche Recht hier irgendwie besser ist (was ich nicht einschätzen kann) warum sollen sie das nicht bei sich einführen dürfen?

Rechtsexport ist weder neu noch per se anstößig. Das DGB basiert auf Napoleons Code Civil, einfach weil es besser war, als das was wir bisher hatten. Unser Grundgesetz orientierte sich an den Menschenrechten, welche wiederum von der Amerikanischen Verfassung inspiriert wurden, welche wiederum an den Idealen der Französischen Revolution anlehnen. Uns so weiter und so fort. Das gilt für jedes Recht.

Gesetze können gut oder schlecht sein, gute setzen sich durch, hoffentlich. Dass es natürlich im Interesse eines Nationalstaates ist, dass möglichst viele Länder ähnliches Recht auf sich vereinen, ist auch nicht verwunderlich und ich halte es für legitim hier Werbung zu machen. Was ich ablehne, ist einer Gesellschaft ein bestimmtes Recht aufzudrücken. So wie es der Internationale Währungsfond macht, mit dem Druck der Daumenschrauben des Staatskredits.

mspro hat gesagt… said:

29. Oktober 2008 um 13:58  

Huch, hab ich DBG geschrieben? Peinlich. Meine natürlich BGB.

Willyam hat gesagt… said:

29. Oktober 2008 um 23:48  

Und nu: Was hält Dich davon ab, Zypries und IWF in eine Fluchtlinie zu stellen? Mich jedenfalls nichts - wenn ich nach ihrem F.A.Z.-Artikel urteile.

"Werbung" für die eigene Sache und daraus resultierende untersützende Beratung sind eine Sache, da schließe ich mich an; die Verbreitung deutschen Rechts zu fordern, greift allerdings eine Denke auf, die mir schlichtweg zu stumpf, zu eindimensional, zu selbstzentriert ist. Ob [d]as DGB [... oder BGB :-)] auf Napoleons Code Civil [basiert], einfach weil es besser war, als das was wir bisher hatten (ich hätte die Ursache für die "freundliche Übernahme" im Machtungleichgewicht zugunsten Napoleons gesucht, aber gut ...), will ich für's Argument als nebensächlich abtun: unsere "Kulturtraditionen" (Du weißt, mit welcher Vorsicht ich solche Begriffe aufgreife) könnte man als an der ein oder anderen "europäischen" Mentalitätsschnittstelle verwurzelt berachten. Ob diese Verwandtschaften auch in Regionen greifen, in denen der Nationalstaat als fragmentarische, gebrechliche Zwangstransplantation wahrgenommen wird? Und ob man daher, vor dem Hintergrund historischer Erfahrung, aus der man ja "gelernt" haben möchte, unverhohlen für die dortige Einfuhr deutschen Rechts (allgemeiner: irgendeines europäischen) Rechts werben sollte ... ??? Ohne Verweis auf Blindstellen?

Vielleicht irritiert mich auch nur die Offenheit ihrer Worte. Dann erst Recht desillusioniert mich Dein Achselzucken: Der Zypries sollte es um Gerechtigkeits-, nicht um Wettbewerbsorientierung gehen. Bin ich da so ein Moralapostel?

[Nebenbei bemerkt erstaunt mich, dass Du die Französische Revolution (1789) als Inspiration für die Formulierung der Amerikanischen Verfassung (Verabschiedung 1787) siehst ... :-)]

Samuel Bechstein hat gesagt… said:

31. Oktober 2008 um 20:01  

Einen Schönen Artikel den Du da geschrieben hast lieber willyam.
Frau Zypris ist das Typische Beispiel einer Fachdummheit.
Sie ist wirklich ein hervorragendes exemplar der gattung ummichherum sehichnichts.
Der Lebenslauf auf http://www.brigitte-zypries.de/
Gibt einwenig aufschluss.
Frau Zypris lebt seit Jugend in einer Welt der Gesetze.
Und hier liegt das Problem. Sie ist viel zu beschränkt in ihrer sache, als dass sie über den Tellerand noch sehen könnte. Ihr absurder Artikel beschreibt dies.

- Nun gut.
Frau Zypris ist sicherlich was das Recht angeht kompetent. Vorallem hat sie unser deutsches, deutsches, deutsches Recht anscheinend fasziniert. Und villeicht ist unsere Gesetze ja auch so toll?
- Ich meine nein. Für mich und viele, fast alle Deutschen behaupte ich ganz sicher nicht.
Im internationalen vergleich, - villeicht. Da weiss die Fachidiotin sicher besser bescheid.
(entschuldigt das harte Wort).

Frau Zypris schreibt vom Deutschen RechtsSysthem. Das ist alt.
Das strafgesetzbuch stammt von 1871 (also aus der Gründung des 2. deutschen reiches) und das BGB von 1900 alo auch noch aus der deut. Kaiserzeit.
Es ist vorbildlich im Bezug auf seine Komplexität. Sicherlich.

Wir müssen uns am wettbewerb für das beste Recht beteiligen?
Na klar, aber was ist denn das beste recht??? Na klar, dass Recht welches dem Staat die meisten Rechte zusichert. "Damit unsere Demokratie noch stärker wird".

Nun ja. Wir in unserer vorbildlichen "Demokratie" leben also im grunde, nach Gesetzen aus der Monarchie. Lustig, nicht?
Natürlich sind viele Gesetze mit der Zeit revidiert worden, und noch viel viel mehr sind hinzu gekommen. Trotzdem der grundstein ist Monarchisch bürokratischen Ursprungs. Naja. Zum glück haben wir ja das Grundgesetz nach dem Krieg bekommen. Leider ist es aber recht weiträumig auslegbar.
Und es wird auch nicht eingehalten.
Recht auf freie Meinungsäußerung? aber doch bitte nicht vor dem Reichstag. (ein kleines representatives Beispiel unserer mit einem fein gewebten Demokratie schleier, verhüllten Diktatur).

Es ist ein vorbildliches Rechts Systhem, das fast täglich ein neues Gesetz erhält. Und es ist toll, dass es uns eine solche einschränkende erdrückende Rechtsfreiheit bringt.

Ist es so vorbildlich, weil es so wiedersprüchlich, verwoben, und ungelichgewichtig ist?

Und wenn wir es exporieren, man stelle sich dieses Ungetüm Kamerun oder China übgergestülpt vor. Kann man da als nicht Jurist überhaupt wissen was erlaubt ist, und was nicht?
Gesetze sind aber sache der Juristen. Und wer profitiert von den vielen Gesetzen und deren unwägbarkeiten? -Juristen! Wer macht in der Politik Gesetze? Juristen. Was sind übrigens, die meisten Politiker? - Juristen.
Wer kann sich die Besten anwalts Kazleien leisten? ja richtig, Großunternehmer.

Das Deutsche Rechts Systhem ist meine ich ein Teil des Politik problems. Und es ist meine ich ein wesentlicher Grund dafür, dass wir nicht mehr in einer Demokratie leben. Denn was verbietet mir meine freie Meinungs äußerung vor dem Reichstag? Was sorgt dafür, dass das Volk sich nicht natürlich und gewaltsam wehren darf?
Was ist der Grund dafür, dass mich die Polizei jederzeit von jedem Platz den ich aufsuche entfernen darf (Gefahren abwehrrecht)?
Worauf fußt die Datenüberwachung etc.etc.

Frau Zypris ist in gewisser weise typisch für einen deutschen Politiker unserer Zeit. Sie sieht nur sich selbst, ihr Fachgebiet, und ihre Lobby zuständigkeit. Daneben meint sie vermutlich ganz besonders Demokratisch und Human zu sein. Einen Armen aber, sieht sie nicht einmal. Die Facetten der welt kann sie in ihrem bundestag Biotop nicht wahrnemen.
Das Ist spekulation, gut, aber was meint ihr. Ist es nicht so oder ähnlich?

Es ist toll, dass unser Rechts systhem die aktivität deutscher unternehmen im Ausland erleichtert.
Für uns villeicht.

Ein wirklich tolles Rechtssysthem währe ein neues Rechtssysthem.

Es ist wie mit der Steuer Reform, der Gesundheits Reform, es ist mit dem ganzen staatsapperat so.
Ein schönes samtenes Tuch total zerfetzt und mit billigem stoff übernäht. Eine Mutation der natürlichen menschlichen inkompetenz.
Die längst überfällige Lösung?
Der alte Zopf muss ab. und zwar schnellstens.
Was währe denn die Alternative?
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Willyam hat gesagt… said:

3. November 2008 um 21:59  

Wenn Du den Zopf ab haben willst, wäre es sicherlich nicht vollkommen falsch, Deine "Alternative" mit ein paar Vorschlägen auszumalen. Denn so, wie Du sie gerade formulierst, klingt mir Deine Traumgesellschaft nach Anarchie. Das Problem ist dieses: Du baust sie allein auf die Alternativlosigkeit der derzeitigen Situation auf. Und damit droht Deine Alternative zum Gegenteil des Hier und Jetzt zu werden.

Weiter: Ganz so viel Willkür genießt der Staat ja dann doch nicht. Platzverweise müssen doch schon begründet sein. Dann wiederum aber: dass man vor dem Reichtstag nicht demonstrieren darf, wusste ich nicht. Vermutlich "sicherheitsbegründet" oder so.

Ich gebe Dir insofern Recht, dass der gesamte Apparat allmählich eine Undurchsichtigkeit aufbaut (oder vielleicht auch schon lange erreicht hat?), die auf lange Sicht "Gefahren" mit sich bringt. Jedes System ist eben selbststabilisierend. Darauf beharrt unter den Philosophen z.B. Giorgio Agamben, über den ich hier schon einmal ein paar Worte verloren habe ...