Vergangenen Donnerstag seit langem mal wieder einem Vortrag im Rahmen der "Mosse-Lectures" an der Humboldt gelauscht. "Confronting Democracy - Wissenschaft und Politik im Zeichen extremer Bedrohung" lautet das übergreifende Semesterprogramm, zu dem am besagten Abend Alain Badiou, Professor und Direktor des Institutes für Philosophie an der Pariser École Normale Supérieure, seine Thesen beitragen wollte. Die Programmankündigung:
Ein eklatanter Widerspruch ist zu bemerken: Einerseits ist die Philosophie selbstverständlich und notwendigerweise eine demokratische Tätigkeit. Andererseits sind die politischen Vorstellungen der Mehrheit der Philosophen - von Plato bis zu meinem Denken, Hegel, Nietzsche, Wittgenstein und Deleuze eingeschlossen - keineswegs "demokratisch" im üblichen Verstande des Wortes. Es besteht also ein Widerspruch zwischen der wahren Natur von Philosophie, die sicherlich so etwas wie eine demokratische Übung des Diskutierens und Denkens darstellt, und den expliziten Begrifflichkeiten der Philosophie im Bereich der Politik, die sehr oft eine autoritäre Grundstruktur für das kollektive Schicksal der Menschheit annehmen. Dieses Paradox zu erklären, [...] - daran war Badiou gelegen.
Was einen spannenden Abend versprach, erschien mir - ohne anmaßend oder überheblich klingen zu wollen - oftmals banal, weil unpragmatisch. Zugegeben: Ich habe bisher keines seiner Bücher gelesen, um an dem Abend an sein Denken anknüpfen zu können, und auch wenn Maximilian Probsts Artikel in der Zeit einen transparenten, nachvollziehbaren Zugang zu Badious Philosophie eröffnet, bleibt ein fader Beigeschmack. Meine leichte Verstimmung trifft vielleicht noch nicht einmal Badiou persönlich, sondern wird vermutlich auf einen "Wahrnehmungsumschwung" hindeuten, den ich bisher - wenn überhaupt - fühlen, aber kaum an- oder aussprechen konnte: Allmählich befrage ich das, was Probst zufolge
die Philosophie in ihrer leidenschaftlichen Form schon immer gewesen ist: ein Überzeugungskampf, der mit den klassischen Waffen der Geschlechter ausgefochten wird, mit der Faust und dem Charme, wohlgemerkt in den eisigen Höhen der Abstraktion.
Nichts gegen den Überzeugungskampf, im Gegenteil. Ich habe mehr und mehr Bedenken, was die philosophische Neigung zur unpragmatischen Abstraktion anbelangt. Nun will ich den Abend nicht in Form einer Rezension aufarbeiten; ich möchte einen Gedanken aufgreifen, vielleicht den Gedanken, der mich seither immer wieder beschäftigt, weil er mir einerseits zwar einleuchtet, andererseits aber zugleich zu bodenlos, zu abgehoben, ja: zu abstrakt erscheint.
Um anzudeuten, was ihm "gerecht" ist, beruft sich Badiou auf das seiner Ansicht nach geeigneteste Paradigma, die Mathematik. Fern aller formalen Bezüge stellt er lediglich folgende "Gleichung" auf: Verändere ich ein mathematisches Axiom im Rahmen einer bestehenden Formel, oder führe ich ein neues Axiom ein, führt diese Modifizierung zu einem neuen Ergebnis. Seine Übertragung auf das Tagtägliche geht über die verkürzte Feststellung Ich modifiziere, sprich: handele und verändere damit die Konstellationen hinaus. Die Betonung, dass jede Handlung ihre Spuren im sozialen Gefüge hinterlässt, dass jede Handlung Konsequenzen in sich birgt, erlaubt ihm die Festschreibung eines Imperativs: Gerecht ist, wenn ich mich aus freier Wahl, aus freiem Willen dazu entschließe, ein Axiom im Rahmen einer bestimmten Konstellation durch meine eigene Handlung zu verändern, sprich: durch Handlung in das soziale Gefüge einzugreifen, muss ich "gerechterweise" auch die Konsequenzen akzeptieren. Gerechtigkeit kann also nur unter zwei aufeinander Bezug nehmenden Bedingungen zustande kommen: erstens - der Annahme der freien Wahl der Handlung durch das freie Subjekt, sowie zweitens - der freien Annahme der aus dieser freien Wahl resultierenden Konsequenzen durch das freie Subjekt.
So ansprechend ich den Gedanken finde, wundert es mich doch, dass ein Denker wie Badiou so einseitig, so "einfach" oder "vereinfachend" argumentiert. Wer soll diese Kausalkette zwischen Handlung und Handlungskonsequenz mit Autorität festschreiben? Wenn Gerechtigkeit durch den philosophischen oder postmodernen Dialog immer nur momentanen Bestand hat, weil sie auf fortwährendem Dialog gründet - wer spricht dann letzten Endes Recht? Es geht mir nicht um die Betonung, dass genau hier die Philosophie ihre Rolle als demokratische Gedankenübung hat. Eine Schusswaffe bleibt eine Schusswaffe, ein Mord bleibt bei aller Offenheit für dialogische Erklärungsfindungen der gewaltsam herbeigeführte Tod eines Menschen. Wie will die Postmoderne also ihr Verständnis, wohl eher: ihre in Verhandlung stehenden Verständnisse von Gerechtigkeit durchsetzen? Ein Kärker aus Worten lässt viel Bewegungsfreiheit zu ...
Welche Gerechtigkeit?
at 20.1.08 Posted under Denkschubladen: demokratische Kultur
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