Ich beobachte immer wieder mit derselben Enttäuschung, mit demselben Zynismus - ganz so, als ob ich aus meinen Erfahrungen nicht lernen wollte - wie sich die Politik in festgefahrenen Situationen ungehemmt ihres Rhetorikkästchens bedient und Altbewährtes neu formuliert. Im Falle des kürzlichen und längst fälligen EU-Afrika-Gipfels in Lissabon bin ich allerdings überrascht, mit welchem Krampf das Verhältnis in den Schlagzeilen und Podiumsdiskussionen geschönt wird. Und mit welcher Leere. Vergessen ist die "verbrannte Erde", das Leid des "Schwarzen Kontinents", in dem Joseph Conrads "Herz der Finsternis" schlägt. "Es sei Zeit", zitierte die taz EU-Kommissar Louis Michel, "das Bild vom 'problembeladenen Kontinent' zu revidieren und den 'Afro-Pessimismus' durch ein realistisches Bild zu ersetzen. Wie sich dieser Realismus formulieren lässt, machen die durchsichtigen Euphemismen schnell deutlich: Fortan verspricht man sich also einen Dialog "auf Augenhöhe" mit einem von Bundeskanzlerin Merkel portraitierten "neuen Afrika". Am vergangenen Dienstag in der KAS war sogar vom "Chancenkontinent" die Rede. Doch ob mit oder ohne dieses rhetorische Aufblenden: der Ausblick auf die mittelfristige Zukunft bleibt mehr oder weniger unverändert; hinter der freundschaftlichen Geste des Gesprächsangebots "auf Augenhöhe" steht die kalkülbasierte "strategische Partnerschaft".
Diese Doppelzüngigkeit zu verurteilen, sie wie die taz als "Pragmatismus nach chinesischem Vorbild" abzumahnen, ist nicht mein Anliegen. Ich will die Arroganz betonen, mit der die EU diesen Dialog mit der AU abzuwickeln pflegt - eine Arroganz, die ich als Symptom einer europäischen Denke lese und die man mit sloterdijk'schem Schwulst als eine "Ontologie des Vorsprungs" bezeichnen kann. Die "Ontologie des Vorsprungs", halte ich der Prägnanz halber fest, ist mehr als ein kulturalistisch verbrämter Rassismus (Micha Brumlik). Sie ist der Überlegenheitsglaube der aufgeklärten Moderne gegenüber allem Vor-, allem Noch-Nicht-Modernen. Das Grundgerüst dieser Denkart lässt sich überspitzt wie folgt skizzieren: Dank tatsächlicher technischer, wirtschaftlicher und militärischer und gefühlter philosophischer und religiös-säkularer Überlegenheit sind die Europäer (die Vereinigten Staaten eingeschlossen) schlicht und ergreifend die besseren Weltbürger. Alles, was wir sind, waren wir zuerst: Wissensbasiert, industrialisiert, globalisiert und vor allem: aufgeklärt. Wir sind und waren seit jeher all das zuerst, was uns im inspirierenden Dunst der vagen, aber nichts desto Trotz bis ins mythische verklärten Idee des "modernen" selbst schmeichelt. Wir sind nicht nur ganz selbstverständlich uns selbst, sondern allen anderen voraus.
Die wohl geläufigste Formulierung aber, die dieser kulturellen Überlegenheit zum Ausduck verhilft, ist die weit verbreitete "Feststellung", dem Islam fehle die Aufklärung. Den für mein Denken äußerst unwahrscheinlichen Fall angenommen, der Islam nähme sich der Aufklärung an - wie änderte sich unsere Wahrnehmung? In der Essenz, möchte ich behaupten, gar nicht. Ja: Irgendwie wäre der Islam dann schon aufgeklärt. Aber dann eben doch nicht so ganz, denn: er wäre ja noch nicht so lange so aufgeklärt wie wir es sind. Der patriarchalisch-diskriminierende Ton bliebe unter der angepassten Fassade rhetorischer Alltagsübungen derselbe. Daher - gebt's doch zu. Wir wissen alles einfach irgendwie besser, und wir wissen es auch noch objektiv.
Das ist das eins der zentralen Argumente in Dipesh Chakrabartys Provincializing Europe, das Amit Chaudhuri in seiner Rezension für die LRB (London Review of Books) ausführlicher - und vor allem: sehr suggestiv - aufgreift: I went to a Protestant school in Bombay, but the creation myth we were taught in the classroom didn’t have to do with Adam and Eve. I remember a poster on the wall when I was in the Fifth Standard, a pictorial narrative of evolution. On the extreme left, crouching low, its arms hanging near its feet, was an ape; it looked intent, like an athlete waiting for the gun to go off. The next figure rose slightly, and the one after it was more upright: it was like a slow-motion sequence of a runner in the first few seconds of a race. The pistol had been fired; the race had begun. Millisecond after millisecond, that runner – now ape, now Neanderthal – rose a little higher, and its back straightened. By the time it had reached the apogee of its height and straight-backedness, and taken a stride forward, its appearance had improved noticeably; it had become a Homo sapiens, and also, coincidentally, European. The race had been won before it had properly started.
An dieser Selbstwahrnehmung haben die Europäer festgehalten, unabhängig von der Himmelsrichtung, in die sie als Kolonialisten oder Imperialisten aufgebrochen sind. Leidig ist, dass ihre politische Elite diese Perspektive bis heute - und der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zum Trotz - nicht grundlegend hinterfragt hat. "Wie [Afrika] helfen?" fragte Harro Albrecht für die Zeit im vergangenen November. Keine zwei Spalten später die Antwort auf die derzeitigen Missstände der Entwicklungsarbeit: Der beste Platz auf Erden, um solche Fragen zu beanworten, scheint die Harvard University im amerikanischen Cambridge zu sein. Der Satz nimmt vorweg, wie oft ein solcher Wissenstransfer vom neutralen in ein autoritäres Lehrer-Schüler-Verhältnis umschlagen kann: Politische und wirtschaftliche Sanktionen werden durch die Wahrnehmung gestärkt, Afrika leide an mangeldem Verantwortungsbewusstsein, sei noch "im Lernen begriffen" und stecke in der "Entwicklungsphase". Man verfolge nur beispielhaft die Berichterstattung über die aktuellen Entwicklungen in Kenia: Das Land, so der unterschwellige Tenor, steckt noch in den Kinderschuhen.
Der Deutlichkeit halber: ich bin fern davon, mich dem jugendlich-naiven Ton der Jungen Welt (& ihrer politischen Artverwandtschaft) anzuschließen. Man liest dort: Europaweit bejubeln kapitalfreundliche Medien dies als Eröffnung eines neuen Kapitels in den über 500 Jahre von der Ausbeutung und der Versklavung Afrikas gekennzeichneten Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten. Die Lobeshymnen auf die gemeinsame Abschlußerklärung, insbesondere auf die »Vertiefung der Zusammenarbeit bei den großen Herausforderungen wie Frieden und Sicherheit, Armutsbekämpfung und Klimawandel« triefen von heuchlerischem Moralin. Den Vogel bei der Heuchelei schoß Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer scharfen Kritik am simbabwischen Staatschef Robert Mugabe ab.
Unbrauchbares Geblubber, das. Was ich verurteile, ist die Psychologisierung, die "Ontologie des Vorsprungs", durch die wir das Verhältnis zwischen Europa und seinen ehemaligen Kolonien interpretieren und einordnen. Ein Dialog "auf Augenhöhe" schließt meines Erachtens jede "strategische Partnerschaft" aus. Will man den jungen afrikanischen Staaten gegenüber jemals gerecht werden, müssen wir daran arbeiten - und nicht an der Gemütsfrage, mit welchen Auflagen wir unsere Hilfskredite versehen.
Vom Mythos eines Dialogs "auf Augenhöhe": Die EU und Afrika
at 26.1.08 Posted under Denkschubladen: Entwicklungshilfe, EU - Afrika, Orientalismus
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