Folter - Question ou Torture (Jurisprudenz)

"Dieses Mittel wendet man zuweilen in Strafprozessen an, um den Angeklagten so weit zu bringen, daß er das Verbrechen gesteht, dessen man ihn beschuldigt, oder daß er seine Mitschuldigen verrät. Dieses Verfahren besteht darin, den Angeklagten heftige Qualen ausstehen zu lassen, die allerdings gewöhnlich nicht zum Tode führen. [...]

Ganz abgesehen von der Stimme der Menschlichkeit, erfüllt die Folter nicht den Zweck, zu dem sie bestimmt ist. Ganz im Gegenteil: Sie ist eine zuverlässige Erfindung, um einen Unschuldigen von schwacher und zarter Konstitution zugrunde zu richten und einen Schuldigen von kräftiger Natur zu retten. Diejenigen, die eine solche Qual ertragen können, und die anderen, die nicht so viel Kraft besitzen, als nötig ist, um sie auszuhalten, leugnen im gleichen Maße. Die Folter, die man beim hochnotpeinlichen Verhör anwendet, ist gewiß; das Verbrechen des Menschen, der sie erleidet, ist dies nicht. Jener Unglückliche, den Sie der Folter aussetzen, denkt weniger daran, auszusagen, was er getan hat, als sich von dem zu befreien, was er verspürt. So sagt Montaigne, die Höllenqualen seien eine gefährliche Erfindung. 'Es ist mehr eine Geduldsprobe als eine Wahrheitsprobe', fährt er fort. 'Denn warum soll der Schmerz einen Unglücklichen eher dazu bringen, zu gestehen, was er ist, als ihn zu zwingen, zu sagen, was er nicht ist? Und umgekehrt: Wenn der, welcher die Tat, deren man ihn beschuldigt, nicht begangen hat, die nötige Ausdauer besitzt, um solche Qualen zu ertragen, warum soll dann der, welcher ein Verbrechen begangen hat, nicht eine ebenso starke Veranlagung haben, da ihm doch als schöne Entschädigung das Leben sicher ist? Kurz, das ist ein sehr unzuverlässiges und gefährliches Mittel; denn was würde man nicht alles sagen und tun, um so grausamen Schmerzen zu entgehen? So kommt es, daß der, den der Richter Höllenqualen ausstehen ließ, damit er nicht unschuldig stürbe, unschuldig und unter Höllenqualen stirbt.'

Sehr beklagenswert ist also der Zustand eines Menschen, dem die Folter das Geständnis eines Verbrechens entreißt; aber der Zustand eines Richters, der sich durch das Gesetz ermächtigt glaubt und diesen unschuldigen Menschen die Folter durchmachen läßt, muß meiner Meinung nach ein gräßlicher Zustand sein. Hat er denn irgendwelche Mittel, ihn für sein Leiden zu entschädigen? Es hat in allen Zeiten unschuldige Menschen gegeben, welche die Folter zum Geständnis von Verbrechen gebracht hat, deren sie nicht schuldig waren. Die Heftigkeit des Schmerzes oder die persönliche Schwäche läßt den Unschuldigen etwas gestehen, das er nicht begangen hat, und die Hartnäckigkeit der Schuldigen, die sicht trotz ihrer Verbrechen stark und sicher fühlen, läßt sie alles leugnen. (Jaucourt.)"


aus: Diderots Enzyklopädie. Eine Auswahl, Leipzig: Reclam, 2001, S. 290-291.