Radikalität, quantitativ gefasst

Ich erinnere mich an vage an eine alte Formel, die vorgibt, der Lehrer habe in eine Unterrichtsstunde grundsätzlich niemals mehr als 10% neue Inhalte einzuführen. Mit einer größeren Menge unbekannten Lernstoffs drohe man die Schüler zu überfordern und ihr Verständnis der Materie zu gefährden: Sie könnten an das bisher Gelernte nicht anknüpfen.

Obwohl inzwischen sicherlich überholt, interessiert mich der Versuch, den Verlauf zwischen Bekanntem und Unbekanntem zu erfassen, in Bezug auf eine ältere Frage nach Radikalität und Angst: Mir scheint mit der Forderung nach Anknüpfbarkeit die eigentliche Grenze zwischen Denkbarem und Radikalem, zwischen machbarer Alternative und abruptem Umschwung, ausgewiesen. Zum gefürchteten "Bruch mit dem heute" kommt es dann, wenn Veränderungen institutionalisiert werden, die nicht gewachsen, nicht verwurzelt sind; die nicht mehr neuen, sondern grundsätzlich keinen Sinn mehr machen. Das Radikale fordert daher unhinterfragten Gehorsam - und muss sich daher umso mehr auf charismatische Persönlichkeit stützen.

Samuel Bechstein hat gesagt… said:

9. Dezember 2008 um 21:35  

Es sind seltsame Zusammenhänge die Du hier knüpfst.
Ich möchte hier deshalb auch nur einen Punkt aufwerfen.

Fordert das Radikale wirklich unhinterfragten Gehorsam?
Nein, ich meine nicht.
Du gleitest hier in falsche und abgenutzte Denkpfade ab.
Radikalität, entsteht, wenn ein Mensch, oder mehrere Menschen zu einer Überzeugung gelangen, die dann zu einem Glaubenssatz wird,
der nahezu unumstößlich ist.
Damit dieser Glaubenssatz gefasst werden kann, muss das bestehende hinterfragt werden.
Wirf Radikalität und Demagogie bitte nicht in einen Topf!

Radikalität ist nicht immer schlecht. Aber stets gefährlich.
(Auch hier zwischen schlecht und gefährlich - zwei sehr unterschiedliche Wörter, die auch man gerne in einen Sack wirft.)

Und das stört mich auch an dem Gedankenstück. Der Artikel ist von der Wortwahl finde ich, viel zu schwammig und ungenau. Deine gedankengänge finde ich hier nur schwer nachvollziehbar.

Willyam hat gesagt… said:

10. Dezember 2008 um 12:17  

Eine Überzeugung [...] die [...] zu einem Glaubenssatz wird,
der nahezu unumstößlich ist
, erfordert keinen blinden Gehorsam? Sie ist doch deshalb nahezu unumstößlich, weil sie nicht hinterfragt wird, genauer noch: weil diese Überzeugung nicht hinterfragt werden darf - da das Radikale nicht an Bestehendes anknüpfen kann [radix (lat.) = Wurzel; es geht also an die Wurzel]. Umso mehr erfordert es "Meinungseinheit". Und erst recht charismatische Führung.

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Das "Gedankenstück" ist ja auch keineswegs ausformuliert. Ich stelle die Frage, wie so oft die Fragen in diesem Blog, einfach in den Raum - gerade weil sie oft noch nicht durchdacht sind.

Samuel Bechstein hat gesagt… said:

11. Dezember 2008 um 10:59  

Du hast meine Kritik nicht verstanden. Du gehst davon aus, dass Radikalität blinden Gehorsam einforder, vergisst aber was Radikalität ist. Das Radikalität von wurzel her kommt ist bekannt. Wie kommt man zur Wurzel, zum Grunde von etwas, zum Hintergrund?
- Durch Hinterfragen.
Ich vermute du denkst an Koranschulen und Neonazis etc. wenn du an Radikales denkst.
Radikaliät ist aber viel mehr. Und Radikalität muss nicht mit Demagogie einher gehen.
Wer Radikal denkt, meint von der Wurzel, vom Ursprung her zu denken oder tut dies sogar. Entstehen kann dies nur durch hinterfragen. Und wenn dieses Wissen angewendet wird, durch Lernen.

Willyam hat gesagt… said:

14. Dezember 2008 um 03:41  

Doch doch: ich verstehe Deine Kritik; ich habe mich wohl nur missverständlich ausgesdrückt: Ich versuche, wollte versuchen, das Radikale gleichzeitig relativ UND aabsolut zu fassen - indem ich nämlich argumentiere, dass eine durch die eigene Lebenswelt vorgegebene Grenze zwischen als machbar angenommener Veränderung und "radikalem" Bruch mit dem
Dass das nach wie vor schwammig ist, will ich gar nicht bestreiten. Aber ich finde den Annäherungsversuch, so sinnlos er auch gerade erscheinen mag, wichtig.