Hilfloser Zuschauer ...

Wie sich die eigene Meinung doch formt, während man noch im Begriff des Nachdenkens und Formulierens ist. Denn ursprünglich wollte ich auf folgende Meldung aus der Online-Ausgabe der NZZ reagieren:

Ein UN-Menschenrechtsexperte hat den palästinensischen Terrorismus in einem Bericht als «unvermeidbare Folge» der israelischen Besatzung bezeichnet.

Ich war überrascht über die Deutlichkeit der Kritik von so offizieller Stelle, in der ja üblicherweise ein eher beschwichtigend-diplomatischer Ton zu herrschen scheint. Weiter hieß es:

Dugard hat bereits in den vergangenen Jahren das israelische Vorgehen in den palästinensischen Autonomiegebieten scharf kritisiert. Im vergangenen Jahr verglich er die israelische Politik dort mit der Apartheid in Südafrika.

Meine Überraschung wuchs. Dugard stammt selbst aus Südafrika und sollte daher wohl um das anklagende Ausmaß seiner Querverweise wissen. Und gerade darum war ich mir sicher, dass diese Meldung in der deutschen Presse kaum Verbreitung finden würde. Und tatsächlich: keine Verweise auf Spiegel, Süddeutsche, Zeit & Verbandskollegiat; stattdessen Lektürestunde auf Lizas Welt.

Offenbar wiederholt Dugard seine Vorwürfe variationslos seit geraumer Zeit, wie ich von ihr lernte. Das allerdings ist nicht das Kernproblem, ihrer Aufmerksamkeit galt. Bei aller Einseitigkeit, die man Dugards Berichten unterstellen mag, spiegelt seine vehemente Verurteilung israelischer Besatzungspolitik auf sehr deutliche Art und Weise eine leidliche Neigung des Organs wider, das er vertritt: Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen disqualifiziert sich, ähnlich wie bereits seine Vorgängerin, die 1946 gegründete Menschenrechtskommission, selbst: In ihren Entschließungen wurden selbst derbste Verbrechen von Mitgliedsstaaten und deren Verbündeten nicht verurteilt. Dafür hatte sie sich mehrheitlich und dauerhaft – wie könnte es anders sein? – auf Israel eingeschossen und den jüdischen Staat fortwährend ärgster Knechtung der Palästinenser bezichtigt.

Eher blamabel für Liza ist leider nur, dass die zitierten Medien (u.a. die SZ) den Vorwurf einseitiger Stellungnahme nicht unterstreichen. Auch dem Verweis auf die Nichtregierungsorganisation United Nations Watch, für den ich ursprünglich großes Lob aussprechen wollte, stehe ich inzwischen mit Skepsis gegenüber. Zwar hat ihr Executive Director Hillel Neuer zweifelsohne Recht, in seiner Abrechnung mit dem Menschenrechtsrat [...] seine[...] Verfasstheit zu verurteilen. Dass ihm zufolge die eigentliche Sprache und Idee der Menschenrechte [...] entstell[t] und [...] pervertier[t] würde, ist keine Unterstellung, sondern eine Tatsache, deren Realität die Vereinten Nationen immer wieder unter Beweis stellen, zuletzt nicht nur dadurch, dass sie Despoten als Vorsitzende sensibler Kommissionen fungieren lässt.

Hillers andere Anklage: Sie streben danach, die israelische Demokratie zu dämonisieren, den jüdischen Staat zu delegitimieren, das jüdische Volk zum Sündenbock zu degradieren.

Es sei mir erlaubt, ohne das übergeordnete Engagement der Organisation grundsätzlich in Frage zu stellen, doch auf eventuelle "Voreingenommenheiten" im Hinblick auf die Konfliktregion Naher Osten hinzuweisen. United Nations Watch ist nicht irgendeine unabhängige, überparteiliche Institution, sie ist ein Ableger des American Jewish Committee.

Das alles bringt mich schlussendlich dazu, keine Schlüsse mehr ziehen zu wollen. Ohne die Region zu kennen, ohne mit beiden Kulturen auch nur annähernd vertraut zu sein, und die Entwicklungen allein durch den Zerrspiegel der Interessen wahrnehmen zu können, bleibt mir meinem Gefühl nach nur der Rückzug hinter Generalpositionen wie die Slavoj Žižeks (via):

Wenn man die israelische Besetzung der Westbank bedingungslos ablehnt, sollte man die antisemitischen Übergriffe in Westeuropa, die sich selbst als “exportierte Intifadah”, d.h. als Solidaritätsbekundung mit den unterdrückten Palästinensern rechtfertigen, genauso bedingungslos ablehnen (von Angriffen auf Synagogen in Deutschland bis zu Hunderten von antisemitischen Vorfällen in Frankreich im Herbst 2001). Man darf hier kein “Verständnis” zeigen. Es darf keinen Platz geben für die Logik des “Aber man muß die Angriffe auf die Juden in Frankreich als eine Reaktion auf das brutale Vorgehen der israelischen Armee verstehen!”, genauso wenig wie für die Logik des “Aber man kann die militärische Reaktion ja verstehen; wer hätte keine Angst nach dem Holocaust und zweitausend Jahren Antisemitismus!” Auch hier sollte man sich der doppelten Erpressung widersetzen: Wenn man für die Palästinenser ist, ist man eo ipso antisemitisch, und wenn man gegen den Antisemitismus ist, muß man eo ipso pro Israel sein. Die Lösung ist nicht ein Kompromiß, das “rechte Maß” zwischen den beiden Extremen, sondern man muß beide Projekte radikal bis zum Schluß verfolgen, die Verteidigung der Rechte der Palästinenser und die Bekämpfung des Antisemitismus.

Sicherlich muss man. Obowohl ich dazu neige, die Aussage durch den Konjunktiv zu entkräften: Sicherlich müsste man. Die traurige Frage dahinter lautet schließlich doch: Aber wie von hier aus dazu beitragen?