Repräsentation und Geschichte

Dass unser Zugriff auf die Welt um uns herum nur ein Vermittelter ist, ist keine neue Erkenntnis. Streitig ist man sich nur nach wie vor in der Beantwortung der Frage, ob - und falls ja: wie - es möglich ist, objektivierbare Aussagen über eine von unserer subjektivierten Wahrnehmung unabhängigen "Realität" oder "Wirklichkeit" zu treffen. Meine entschlossene Antwort darauf: Es gibt keine objektiven, ein für alle Mal festschreibbaren Sinnzusammenhänge, die ich, wir oder man über die Verfasstheit der Welt aufstellen könnte(n). Die Welt ist, aber sie ist für jeden anders - ohne die Möglichkeit eines Rückgriffs auf transzendentale Bedeutungen.

Zur Klarstellung: Dass sich Dinge ereignen, will ich unter keinen Umständen bestreiten. Die maßgebliche Frage ist für mich eherdie der Bewertung. Ich will als Extrembeispiel auf die Shoa verweisen: Dass sie stattgefunden hat, will und würde ich niemals anzweifeln. Ich kann aber niemandem vorschreiben, wie er mit ihr umzugehen hat. Ob der Einzelne in Ignoranz lebt (ich spreche nicht von Leugnung) oder sich täglich seiner Verantwortung bewusst zeigt, solchen und ähnlichen Barbarismus in Zukunft nach allen Kräften zu vermeiden - der Umgang mit Geschichte kann letzten Endes nur unter normativen Gesichtspunkten verstanden und aufgearbeitet werden.

Jeder historische Erklärungsversuch verdeutlicht diesen grundlegenden Umstand. (1) Als "Repräsentation" ist er keine faktische Spiegelung, kein von subjektiver Vereinnahmung neutralisierter Tatsachenbericht. Im Gegenteil: Jede Repräsentation deutet aus sich heraus bereits auf ihre zeitliche und/oder räumliche Distanz zum Berichteten - das nicht mit dem Geschehenen zu verwechseln ist! - hin: Sie ist keine objektive Wiedergabe eines Ereignisses, sondern eine erneute, mit jedem erzählt Werden wieder in die Gegenwart geholte Präsentation - eine suggestiv aufgearbeitete, weil der eigenen Sinnstiftung intendierte Vorstellung, die ohne übergeordnete Einbettung, d.h. Geschichte, leblos bleibt.

(2) Diese "Wieder-Vorstellung" verselbstständigt sich erst recht dann, wenn sie weiteren subjektiven Modifikationen unterliegt. Hat man ein Ereignis erst dann in seiner vollen Tragweite begriffen (man bedenke auch die haptisch konnotatierte Bedeutungsebene dieses Worts), wenn man imstande, ist, es in eigenen Worten wiederzugeben? Dieser Gedanke verrät schon: Es ist meine Aneignung, mein erneutes Verfassen, meine "Wieder-Vorstellung" oder Repräsentation des Geschehenen, die mir vorliegt und zeigt, dass es eben nicht das Ereignis selbst ist, dem ich meine Stimme, meine Worte "verleihe" - sondern einer Spur, einer gegenwärtig gemachten Erinnerung.

Damit ergibt sich für jeden linear-historisch denkenden Menschen wohl die notgedrungene Einschränkung auf eine zirkuläre Hermeneutik ohne Chance auf letztendliche Annäherung an das Ereignis selbst. Eine "vorsichtige Authentizität", so scheint es mir gerade, könnten wir dann wohl nur allein jenen Repräsentationen zuschreiben, die das Berichtete selbst erlebt haben ...