Privilegierte Perspektive

Irritierend ist er ja für mich, der Herr Friedman. Die Welt verflacht also, behauptet er mit seinem neuen Bestseller, The World is Flat. Womit er keinesfalls seicht, auf Englisch: "shallow", gemeint wissen will. Ich habe ihn ja bereits in einem früheren Post mit folgenden Worten zitiert:

I always say, in this globalization system there is just one road; […] and it’s the road, I believe, of free markets, of liberalized markets, and liberalized politics. But there are many speeds […]. There’s one road, and there’s many speeds. But promise me you just won’t do one thing – not go down the road at all. If you do that, I promise you, you’ll bring nothing but ruin and devastation to your people. [1]

Diesen belehrenden Ton hat er nach wie vor nicht abgelegt, im Gegenteil: wohl eher verstärkt. Da sich inzwischen vereinzelte Inseln kartographieren lassen, auf denen die Bewegung, die Europa und Nordamerika mit dem Begriff Globalisierung zu fassen versuchen, Wurzeln gefasst hat, predigt er mit noch wortgewaltigerer Vehemenz von der Notwendigkeit des "gemeinsamen" Wegs - Kapital global. Wobei er stets nur von einer sehr eingeschränkten "Gemeinsamkeit" spricht - der des wirtschaftsliberalen Wettbewerbs. Geteiltes Wirtschaftssystem, aber kein geteiltes Leid. Sein polarisierendes Patentrezept: Man lausche wiederum den Patentrezepten des International Monetary Fund und der Weltbank. Hört man auf Naomi Klein und den Human Rights Watch, gehört man gleich in den albernen Karnevalszug der "Gegner". You're either with us, or against us, will er damit wohl deutlich machen.

Seiner militanten Aufteilung verleiht er in seinem Buch neuen Ausdruck und macht den (in seinen Augen wohl) ernsthaften Versuch, den Begriff der "Dritten Welt" auszurangieren. Die Globalisierung, bitte sehr, hierarchisiert anders: Fortan gibt es nach seinen Worten "nur noch" schnelle und langsame Regionen, "fast and slow worlds". 



Ich höre Jens Riwa und Anne Will schon von Hungerkatastrophen in der langsamen Welt berichten.

Ich kann den Eindruck nicht leugnen: Trotz seiner ausführlichen Auslandsreisen scheint mir Herr Friedman mit seiner Perspektive fest im schnellen Amerika verhaftet geblieben zu sein. Da die Welt dort für ihn flach ist, fehlt es ihm an Weitsicht. Und so verwundert es kaum, dass seine Bestandsaufnahme wenig Tiefgründigkeit vermittelt - die horizontale Kurzsicht scheint offenbar sehr vielversprechende Perspektiven zu eröffnen. Es lebe der Liberalismus; wir Schnellen können ihn uns ja leisten.


Links: Tom Friedman bei den New York Times


[1] “Terrorism May Have Put Sand in its Gears, but Globalization Won’t Stop.” Tom Friedman, interviewed by Nayan Chanda, YaleGlobal, February 3rd, 2003, http://yaleglobal.yale.edu/display.article?id=870.