Manche Fragen geben nach kurzer Zeit einen Hinweis auf die Richtigung ihre Beantwortung. So auch die, wie man aus der Entfernung zur "Situation", zu den anhaltenden Spannungen, die den Nahost-Konflikt kennzeichnen und schüren, Stellung beziehen kann. Zur Auffrischung das Zitat Slavoj Žižeks (nach wie vor via), das ich sofort wieder unterschrieben würde:
Wenn man die israelische Besetzung der Westbank bedingungslos ablehnt, sollte man die antisemitischen Übergriffe in Westeuropa, die sich selbst als “exportierte Intifadah”, d.h. als Solidaritätsbekundung mit den unterdrückten Palästinensern rechtfertigen, genauso bedingungslos ablehnen (von Angriffen auf Synagogen in Deutschland bis zu Hunderten von antisemitischen Vorfällen in Frankreich im Herbst 2001). Man darf hier kein “Verständnis” zeigen. Es darf keinen Platz geben für die Logik des “Aber man muß die Angriffe auf die Juden in Frankreich als eine Reaktion auf das brutale Vorgehen der israelischen Armee verstehen!”, genauso wenig wie für die Logik des “Aber man kann die militärische Reaktion ja verstehen; wer hätte keine Angst nach dem Holocaust und zweitausend Jahren Antisemitismus!” Auch hier sollte man sich der doppelten Erpressung widersetzen: Wenn man für die Palästinenser ist, ist man eo ipso antisemitisch, und wenn man gegen den Antisemitismus ist, muß man eo ipso pro Israel sein. Die Lösung ist nicht ein Kompromiß, das “rechte Maß” zwischen den beiden Extremen, sondern man muß beide Projekte radikal bis zum Schluß verfolgen, die Verteidigung der Rechte der Palästinenser und die Bekämpfung des Antisemitismus.
Meine Skepsis: Sicherlich muss man. Obowohl ich dazu neige, die Aussage durch den Konjunktiv zu entkräften: Sicherlich müsste man. Die traurige Frage dahinter lautet schließlich doch: Aber wie von hier aus dazu beitragen?
A Goy's World ist da sehr viel pragmatischer als ich und abonniert (leite ich zumindest aus dem in der Fußzeile gesetzten Verweis) die Feeds des Middle East Media Research Institute (MEMRI). Ein sehr gutes Projekt, das keines wäre, würde es durch seine Arbeit nicht unmittelbar neue Fragen aufwerfen: Bei aller Radikalität, die man Zizek zufolge für die eine und andere, für die israelische und die palestinensische Sache aufbringen muss, bleibt offen, mit wessen Radikalität man mögliche Lösungen verfolgen sollte. Etwa mit der, die der Hamas-Sender Al-Aqsa ausstrahlt? Oder vielleicht der, die mir der ägyptische Sender Al-Nas anbietet?
RE: Hilfloser Zuschauer
at 30.3.08 Posted under Denkschubladen: Nahost(konflikt)
mspro hat gesagt… said:
Sehr schönes Zitat. Das hat meine volle Zustimmung. Das Problem mit dem "und" und seiner fehlenden "Radikalität", ist, dass "Radikalität" bisher immer ein Feindbild brauchte, sowie klare Grenzen und eine klare Positionierung innerhalb eines Konfliktes.
Ich würde mich z.B. als einen radikalen Demokraten bezeichnen, politisch gesehen. Dessen Werte vor allem einer "radikalen" Toleranz entspringen.
Und wenn sich das alles nach wie vor paradox anhören mag, dann muss man an den politischen Begriffen selbst arbeiten. Man muss sie radikalisieren und eskalieren und gegen alles stellen, was die alte Freund-Feind-Logik wieder einführen will.
Willyam hat gesagt… said:
Über Deine "radikale Demokratie" und Deine "'radikale' Toleranz" müssen wir uns bei Gelegenheit ausführlicher austauschen. Wie weit reicht sie? Bist Du soweit Demokrat, dass Du einen Nicht-Demokraten zu akzeptieren bereit wärst? Für meinen Teil kann ich für den Augenblick vielleicht so viel andeuten: Bei mir war's bisher die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen, an denen ich mich ausgerichtet habe. Leider habe ich sie vor kurzem nochmal gelesen und festgestellt, dass ich auch sie wohl in Frage stellen muss. Aber das, was sie nicht formulieren, also das, was mir unter eines jeden Menschens Rechte vorschwebt (und was ich noch genauer festhalten will) - das wäre für mich Maßstab einer "radikalen Demokratie" ...