Ich blicke auf/in ein menschenleeres Berlin: graustufig, aber nicht blass, nüchtern, und doch nicht neutral. Eher: leblos, vielleicht sogar: öde. Die Zuschreibung, die mir Gabriele Basilico dagegen für die Stimmung anbietet, die seine Bilder in mir wachrufen: „entschleunigt“. Aber auch seiner Blickanweisung zum Trotz vermag sich in mir keine Schwerelosigkeit, die ich „entschleunigt“ nennen würde, einzustellen. Die Zeit scheint nicht angehalten, die Stadt nicht still zu stehen. Was Basilicos Bilder einfangen, ist keine Ruhe, sondern, wenn man überspitzt destruktiv sein möchte, ein Ableben. Ich erkenne Straßen, Plätze, Gebäude, kann sie benennen und verorten, so vertraut bin ich hier inzwischen. Wäre das nicht Berlin, sondern München, Hamburg, Dresden, der Ruhrpott, käme mir dieser sträubende Gedanke nicht, aber das, was ich sehe, soll Berlin sein, der Sesshafte in mir fragt mich: Ist das die Stadt, in der du zu Hause bist? Ich verweigere Basilico meine Anerkennung. Nein: meine Stadt sieht anders aus.
Ich habe Vorbehalte, ganz offensichtlich, wie schon bei meiner Begegnung mit Jeff Wall. Aber ich habe gelernt, nerone sei dank sehr viel sogar. Ich weiß inzwischen: Wall muss ich achtsam verfolgen, um ihm nachzuspüren, um zu erkennen, wen er gerade zitiert, um in die Lebendigkeit seiner Arbeiten eintauchen zu können. Basilicos Auge dagegen ist stark durch seine Ausbildung vorgeprägt: er ist studierter Architekt. Ich muss fast ein Duzend seiner Photographien betrachten, um meine Abwehr, meine Ablehnung, meine Distanziertheit zu hinterfragen und schließlich zu überwinden.
Basilicos entschleunigte Bilder sind kein objektgewordenes zeitgeistkritisches Manifest. Weder Gefühl – meine projizierte Melancholie gegenüber der Rastlosigkeit der Moderne – noch Programmatik – könnte man Basilico in die Nähe zur Neuen Sachlichkeit, zu Becher und Struth rücken? – enträtseln für’s Ganze Entstehung und Absicht seiner Arbeiten. Nur indirekt sind sie eine Bestandsaufnahme der Gegenwart. Basilico will unsere Aufmerksamkeit auf die Stadt als gewachsene Stadt lenken, auf eine Stadt, die Bauwerkensemble, Gebäudeschaft, geworden ist. Er versteht Architektur als Ausdruck sozialer Werte und Utopien, als Spur und Indiz ideologischer, politischer Systeme und Entscheidungen, mit einem Wort: als gebaute Geschichte.
Das einzelne Bild ist daher ohne Aussage. Ihre Wirkung entfaltet Basilicos Arbeit allein in der Sammlung, in der Ausstellung der Bilder im Ensemble. Erst neben- und hintereinander ausgestellt oder abgedruckt beginnen seine Arbeiten ihre Erzählungen preiszugeben: wenn einzelne Motive der Stadt zueinander in Dialog treten und die individuelle Architektur im entkontextualisierten semiotischen Netz in einer „globalen Rhetorik der Formen“ aufgeht.
[Ende der Notiz]
kurz notiert: Gabriele Basilico
at 29.3.08 Posted under Denkschubladen: Fotografie, Kunst, medientheoretisches
Anonym hat gesagt… said:
Mille grazie,
dank deines Beitrages habe ich dieses schöne Bild gefunden: http://www.fineartphotography-online.com/artphotogallery/photographers/gabriele_basilico_08.html
Überhaupt verstehe ich die Ästhetik von Basilico ganz gut. Also nicht besser als andere, aber sie geht mir recht nahe, weil er die Bilder stark komponiert. Er arbeitet auf den einzelnen Bildern mit Analogiene von Formen und Masse. Meist Ausgewogen in Hell/Dunkel-Kontraste - Architektur ist immer dunkel, Masse, der Himmel ist Hell. Er arbeitet mit äußerst klaren Umrissen. Überhaupt erinnern mich seine Bilder an Tuschezeichnungen.
Ich glaube, dass Du recht hast, wenn Du sagst, dass das gesamte Werk mehr als das einzelne Bild sagt. Ich finde aber auch, dass die Ästhetik der einzelnen Bilder sehr viel sagt über die Besonderheit des Ortes. Wie ein sehr guter Koch seine Sauce reduziert, so reduziert Basilico den Blick auf das Wesentliche, dass den Ort aus macht. Seine Berlinbilder habe ich nicht gesehen. Die Menschenleeren Ansichten jedoch verraten, wie recht Du damit hast, dass es ihm um Gebäudeschaften geht (ich habe den Begriff als Anlehnung an Landschaftsdarstellungen gelesen). Und damit erscheint mir auch Deine Analyse ganz richtig ("gebaute Geschichte"). Ich glaube zudem, dass die "Leere" eine besondere Anziehung für den Betrachter bietet (ich meine das Wertfrei: diese Anziehung ist vielleicht eher eine Betroffenheit durch das Bild welche gleichwohl auch in Ablehnung äußern kann) , wird ihm der Blick nicht durch die Geschichte anderer verstellt, sondern gerät ganz selbst in die Welt die sich ihm durch das Bild öffnet. Diese Geschichte ist dann immer eine Begegnung mit dem Ort! Das das alles so ist, zeigt wie großartig der Fotograf ist!
In diesem Sinne: Danke für den Hinweis - so viele Namen und Bilder kann man ja gar nicht kennen!
Willyam hat gesagt… said:
Herr Gumbricht!
Sehr erfreut über Ihre Rückmeldung, danke! Ich bin mir nicht so sicher, ob dem Betrachter der Blick nicht durch die Geschichte anderer verstellt [... wird] sondern [...] ganz selbst in die Welt die sich ihm durch das Bild öffnet [...] gerät. Basilicos Arbeit verweist ja schließlich weit über das Dargestellte hinaus. Er inszeniert, wie jeder Fotograf, nur das Bedeutete. Die Einordnung und Zuweisung der Bedeutung des Bedeuteten (ich glaube, ich verrenne mich gerade), seine Deutung also, überlässt er zwar jedem Einzelnen - das ist richtig - aber Basilico lenkt diese Bedeutung doch sehr stark. Bei aller Kunst bleibt seine Arbeit doch dem Dokumentarischen verpflichtet, denke ich: sie ist Ergänzung und Sensibilisierung unserer gängigen Geschichtsschreibung, sie verweist auf die physischen Spuren ihrer Schreibung. Kurz: Basilico ist Künstler, gleichzeitig aber auch Architektur-, Sozial-, Politikhistoriker, der den Blick des Betrachters verändert: "Schau Dich um", sagt er, Du & Dein Leben seid Teil und habt Teil an der Geschichte. Gebaute Geschichte ist gelebte Geschichte, die ideologischen Neuinterpretationen zum Trotz ihre Spuren hinterlässt, die nur schwerlichst ausradiert werden können."
Seine Arbeit dreht sich in einem kreativen Kreis: Um seine Arbeit zu "verstehen", muss man sich mit diesen Geschichten vertraut machen; gleichzeitig aber schreibt dieser frageninspirierte Blick, auf der Suche nach dem Warum? und Vorher?, diese Geschichte neu.
Einzige Einschränkung, die ich Deiner und meiner Begeisterung anfügen möchte: Das das alles so ist, zeigt wie großartig der Fotograf ist! Nee, leider nicht. Meine Erfahrung macht mich pessimistisch: In den wenigsten Fällen sich Künstler den Horizonten ihrer Arbeit so bewusst. Lies einige Interviews mit ihm, und Du stellst fest, wie oft es um bloße Namenserwähnungen, sich-in-die-Nähe-zu-Trends-rücken geht. Wie gesagt: Leider.